„Ich wollte immer selbstständig arbeiten – jetzt fühle ich mich wie im Gefängnis“

2. Juli 2025

Als junger Hausarzt mit zwei Praxisstandorten, angestellten Kolleginnen und Kollegen und großem Engagement ist Dr. Stefan Reschke eigentlich genau das, was sich Politik und Patientenschaft wünschen. Und doch zieht er jetzt die Reißleine – jedenfalls teilweise: Eine seiner beiden Praxen im Rhein-Neckar-Kreis stellt er auf reine Privatmedizin um. Für den MEDI-Arzt ist das kein leichter Schritt, sondern eine Reaktion auf ein Gesundheitssystem, das ihm als Hausarzt zu wenig Wertschätzung entgegenbringt.

Als Dr. Stefan Reschke im April 2024 seine zweite Praxis in Reilingen übernahm, hatte er gerade einmal zwei Jahre Niederlassungserfahrung in seiner Hausarztpraxis in Walldorf hinter sich. Der Ausbau war langfristig geplant – doch nicht einmal ein Jahr später kam das böse Erwachen: „Im Januar 2025 wurden hausärztliche Leistungen wieder budgetiert – und zwar rückwirkend.“ Ab viertem Quartal 2023 wurden also nicht mehr alle Leistungen hundertprozentig vergütet. „Das hat uns mehrere tausend Euro gekostet“, sagt er. „Das trifft frisch Niedergelassene wie mich natürlich besonders hart, denn ich hatte noch keine Gelegenheit, nennenswerte Rücklagen zu bilden.“

Personalnot, Druck, Perspektivlosigkeit – und eine Entscheidung

Gleichzeitig stieg der Druck – von Seiten der Politik ebenso wie in der Versorgung selbst. „Wir haben einen riesigen Zustrom an Patientinnen und Patienten. Ich habe ein breites Kreuz und hohe Resilienz, aber ich habe gemerkt, dass ich unter dieser Fremdbestimmung einknicke“, berichtet Reschke. „Der Ton in der Praxis wurde rauer, der Spaß war weg. Alle wollten nach Feierabend nur noch raus. Es fühlte sich wie ein Gefängnis an.“ Auch das private Umfeld litt unter der Anspannung: „Meine Frau fragte irgendwann: ‚Was ist los mit dir?‘ Da wusste ich: Ich muss die Reißleine ziehen.“

Reschke begann, Alternativen zu durchdenken. Doch dann offenbarte eine angestellte Ärztin ihre Schwangerschaft, eine weitere kündigte und eine Medizinische Fachangestellte entschloss sich, ihren Praxisjob für eine Ausbildung zur Friseurin an den Nagel zu hängen. „Ich stand vor der Wahl: Neue Leute einstellen und weitermachen wie bisher – oder konsolidieren und mich überwiegend der Privatmedizin widmen.“ Er entschied sich für Letzteres. Die Praxis in Walldorf wurde zur reinen Privatpraxis umgewandelt, mit Fokus auf Prävention, Flugmedizin und ganzheitlicher Allgemeinmedizin inklusive Hormonuntersuchungen – schulmedizinisch fundiert, aber über das GKV-Angebot hinausgehend. Vor der Behandlung bekommen die Patientinnen und Patienten einen Kostenvoranschlag nach GOÄ, bezahlt wird direkt nach der Behandlung mit Überweisung oder Kartenzahlung. „Sie sehen sofort die Rechnung und die abgerechneten Leistungen, da gibt es keine Überraschungen“, betont Reschke.

Kein Rückzug aus der Versorgung – aber ein realistischer Blick 

Obwohl ihm seine Steuerberaterin dazu rät, sich ausschließlich privatärztlich zu betätigen, will Reschke sich nicht komplett aus der GKV-Medizin zurückziehen. In Reilingen bleibt die Versorgung mit eineinhalb Versorgungssitzen der ursprünglich vier Sitze bestehen. Montags bietet Reschkes Team auch in Walldorf noch eine GKV-Sprechstunde an, um die umliegenden Kolleginnen und Kollegen zu entlasten. „Ich habe allen signalisiert, dass ich die Kassenmedizin auch wieder hochfahren würde – wenn die Bedingungen sich verbessern.“ Doch daran glaubt er derzeit nicht. „Ich bin auch im Gemeinderat in Reilingen und sehe, wie wenig Unterstützung es für die ärztliche Versorgung gibt. Für E-Bike-Ladestationen gibt’s Förderungen, aber nicht für Hausärzte.“ Auf das geplante Primärarztsystem setzt er ebenfalls wenig Hoffnung: „Wir sehen in der HZV, dass das noch nicht zu der erforderlichen Patientensteuerung führt. Wir müssten die Patientinnen und Patienten stärker in die Verantwortung nehmen, damit sie nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gehen. Dazu müsse sich Kassen und Politik klar positionieren.“

Mit seiner Entscheidung für die Privatpraxis ist Reschke dagegen bislang zufrieden. „Ich werde nicht reicher – aber ich kann wirtschaftlicher arbeiten, weil ich weniger Personal benötige.“ Seine Privatsprechstunde ist seit Monaten ausgebucht. „Ich habe mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten. Die Gespräche sind entspannter, der Umgang wertschätzender.“ Das liege zum einen daran, dass er in seiner Privatpraxis ein anderes Klientel behandelt. „Doch die Leute sind auch deutlich zufriedener und gehen freundlicher aus der Praxis, weil sie dort mehr Zuwendung bekommen.“ Die angenehmere Arbeitsatmosphäre wirkt sich auch auf das Wohlbefinden des Hausarztes aus: „Meine Frau sagt, dienstags – nach der Arbeit in der Privatsprechstunde – sei ich ein ganz anderer Mensch als am Montag nach der Arbeit in der GKV-Praxis.“

„Geld ist nun mal auch Wertschätzung

Reschke möchte aber nicht nur seine persönliche Arbeitssituation verbessern, sondern auch mit Vorurteilen aufräumen: „Privatarzt bedeutet nicht, dass man nur für Privatversicherte da ist. Es bedeutet, dass man sich aus dem Korsett der GKV befreit und nach GOÄ abrechnet – auch für Selbstzahler. Ich nehme auch die Patientinnen und Patienten aus ihrem engen GKV-Korsett heraus. Es ist eine Win-win-Situation.“ Und wer sich eine medizinisch indizierte privatärztliche Therapie nicht leisten kann, wird bei Reschke auch pro bono behandelt. „Ich verlasse mich da auf mein Bauchgefühl und auf die Erfahrung meiner Angestellten, die im Ort gut vernetzt sind und über die Lebenssituation der Leute Bescheid wissen.“

Die Realität für vertragsärztliche Praxen sieht Reschke hingegen kritisch: „Wir sind auf der Ausgabenseite der freien Marktwirtschaft unterworfen – auf der Einnahmenseite herrscht dagegen Planwirtschaft.“ Er habe den Arztberuf nicht ergriffen, „um im Geld zu schwimmen, wie es früher vielleicht mal für Ärzte möglich war“. Doch er möchte zumindest so viel verdienen, dass er seine Familie allein ernähren kann. „Wenn ich mir anschaue, was Führungskräfte in großen Unternehmen als Angestellte verdienen, dann fehlt es mir an Wertschätzung für die GKV-Medizin. Geld ist nun mal Wertschätzung, das gilt auch für alle Berufe im Gesundheitswesen.“

Verantwortung übernehmen – auch über das Honorar hinaus 

Reschke engagiert sich auch politisch, unter anderem als Sprecher des Nachwuchsprogramms Young MEDI. Immer wieder wird er gefragt, ob er nicht für den Landtag kandidieren möchte. „Aber ich brenne für meinen Beruf. Ich möchte ärztlich arbeiten.“ Gleichzeitig plädiert er für ein realistisches Bild der GKV: „Wir müssen klar kommunizieren, was gesetzliche Medizin leisten kann – und was nicht. Und wir brauchen echte Patientensteuerung über monetäre Anreize. Sonst bleibt alles, wie es ist.“ Seinen Kolleginnen und Kollegen empfiehlt er Mut zur Veränderung. „Ich glaube, dass viele von ihnen profitieren würden, wenn sie sich hybrid aufstellen würden – mit klar abgegrenzten Privatsprechstunden.

Gleichzeitig wünscht er sich einen klareren Fokus auf Gesundheitsprävention: „Ich wünsche mir, dass in den Schulen bei Kindern mehr Verständnis für ihre Gesundheit und ihren Körper geweckt wird. Auch das sehe ich als meine Aufgabe als Arzt an“, meint Reschke. Gleiches gelte für Schulungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes. „Die Menschen haben eine viel zu geringe Gesundheitskompetenz. Sie brauchen heutzutage für alles einen Coach, weil sie selbst einfache Dinge nicht mehr im Elternhaus vermittelt bekommen haben. Da muss man ansetzen.“

Antje Thiel

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