Die MEDI-Facharztverträge entwickeln sich stetig weiter – mit neuen Leistungsinhalten, leistungsgerechter Vergütung und verbesserten Versorgungskonzepten. Doch wie genau entsteht ein solcher Vertrag eigentlich? Und warum dauert es manchmal Jahre, bis ein neuer Vertrag unterzeichnet wird? Antworten darauf haben Jasmin Ritter, Abteilungsleiterin Vertragswesen, und der MEDI-Vorstandsvorsitzende Dr. Norbert Smetak.
„Ein Vertrag ist nie fertig“, sagt MEDI-Vertragschefin Jasmin Ritter. Denn ob neue Studienergebnisse, aktualisierte Leitlinien oder veränderte Versorgungsbedarfe, die von Berufsverbänden an MEDI herangetragen werden – laufend gibt es Anlass, Verträge zu überarbeiten oder neue Leistungen zu integrieren. Jüngste Beispiele sind:
- die Förderung der (Re-)Zertifizierung von Praxen als Brustschmerzambulanz im Kardiologievertrag,
- die bildgesteuerte interventionelle Schmerztherapie an Hals- und Lendenwirbelsäule (Orthopädie/Chirurgie-Vertrag),
- das Angebot Psychoedukativer Gruppen (PNP-Vertrag, Modul Psychiatrie),
- der Zuschlag für zeitnahe psychiatrische Anschlussbehandlung nach stationärem Aufenthalt (PNP-Vertrag, Modul Psychiatrie) und
- das PSYCHOnlineTHERAPIE-Konzept zur Blended Therapy, zuvor erfolgreich als Innovationsfondsprojekt erprobt (PNP-Vertrag, Modul Psychotherapie).
Impulse kommen von Berufsverbänden und Krankenkassen
Neben der Integration neuer Leistungen werden bestehende Leistungen regelmäßig auf ihre Bewertung überprüft. „Über die Vergütungshöhe können wir Schwerpunkte setzen “, erklärt Ritter. Das kann etwa bedeuten, dass gesprächsbasierte Leistungen besonders gefördert werden – ein Impuls, der häufig aus den Berufsverbänden kommt. Auch die Delegation an nichtärztliches Personal wird in den Verträgen berücksichtigt, beispielsweise durch Leistungen, die von Entlastungsassistentinnen in der Facharztpraxis (EFA) erbracht werden. „Oft kommt die Initiative aber auch von den beteiligten Krankenkassen, wenn dort ein zusätzlicher Versorgungsbedarf gesehen wird“, berichtet Ritter. So zeigten aktuelle Studien, dass in einigen Fachrichtungen eine stärkere Ausrichtung auf geschlechtsspezifische Versorgung sinnvoll ist. „Solche Erkenntnisse fließen dann in eine bestehende Vertragssituation ein“, erklärt die Vertragsexpertin.
Selektivverträge sind schneller bei Innovationen
Anpassungsbedarf gibt es auch immer dann, wenn bestimmte neue Leistungen in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und damit in die Regelversorgung aufgenommen werden: „Dann schauen wir, wie wir das auch in unseren Vertrag integrieren“, sagt Ritter. Spannender findet sie allerdings die Fälle, bei denen es um medizinisch sinnvolle Leistungen geht, die bis dato noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wurde. Die Impulse hierzu kommen in diesen Fällen von den Berufsverbänden, deren Mitglieder bereits gute Erfahrungen mit den betreffenden Leistungen gesammelt haben und sie geeigneten Patientinnen und Patienten gern anbieten möchten. „Häufig laufen diese Leistungen dann erst eine Weile im Selektivvertrag, bevor sie später auch in die Regelversorgung übergehen. Da sind Selektivverträge einfach schneller“, weiß Ritter.
Als Beispiel hierfür nennt sie die Botulinumtoxin-Therapie für Patientinnen und Patienten mit Migräne. Diese hat in der Regelversorgung noch den Status einer Individuellen Gesundheitsleistung (IGeL), ist im Neurologievertrag aber bereits als Vertragsleistung enthalten und muss von den Patientinnen und Patienten nicht privat bezahlt werden. Allerdings gilt auch: „Wenn der G-BA den Beschluss fasst, dass eine bestimmte Leistung nicht wirtschaftlich oder sinnvoll ist, kann sie auch im Selektivvertrag nicht mehr integriert werden“, betont Ritter.
Verhandlungen: Zwischen Idee, Evidenz und Abstimmung
Bis eine neue Leistung vertraglich verankert ist, ist es oft ein weiter Weg. „Es beginnt in der Regel mit einer Idee oder einem Konzept – manchmal grob, manchmal schon sehr konkret“, erläutert die Vertragsexpertin. MEDI prüft dann, wie sich die Leistung sinnvoll abbilden lässt: als Ziffer, Pauschale oder Zuschlag? Gleichzeitig wird eruiert, wie viele Patientinnen und Patienten eine solche Änderung überhaupt betreffen würde und welche Evidenz oder Leitlinie der vorgeschlagenen Anpassung zugrunde liegt. Dann geht der Vorschlag an die Kasse, gefolgt von einer gemeinsamen Weiterentwicklung im Rahmen von Arbeitsgruppen, an denen alle Beteiligten der dreiseitigen Verträge zwischen MEDI, Krankenkasse und Berufsverband mitwirken. „Inzwischen finden diese Treffen regelmäßiger statt, um den Austausch über das Jahr hinweg zu strukturieren“, sagt Ritter. Wie lange es dauert, bis eine Leistung schließlich in den Vertrag aufgenommen wird, ist unterschiedlich. „Bei der orthopädischen Schmerztherapie hat es fast ein Jahr gedauert.“ Manchmal reicht aber auch ein Termin oder reichen zwei Termine.
Langwieriger Fall: Der HNO-Vertrag
Ein besonders langwieriger Fall ist der HNO-Vertrag, der schon seit geraumer Zeit in Planung ist. Bereits 2019 begannen die Gespräche, doch die COVID19-Pandemie, personelle Wechsel bei der AOK und wirtschaftliche Unsicherheiten verzögerten den Fortschritt. Doch auch bei den vertraglichen Rahmenbedingungen sind sich die potenziellen Partner bislang noch nicht einig geworden. Denn der HNO-Verband und MEDI streben für den Vertrag eine fachärztliche Vollversorgung an – und nicht etwa ein selektives Angebot, wie es zum Beispiel im kürzlich vorgestellten Vertrag zwischen dem Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte und der IKK Südwest realisiert wurde. In ihm wurden gezielt einzelne ambulante operative Leistungen zur Versorgung von Kindern vertraglich geregelt, bei denen es häufig zu sehr langen Wartezeiten kommt. MEDI-Chef Dr. Norbert Smetak empfindet eine solche Fokussierung auf einzelne Leistungen allerdings als „eine gewisse Rosinenpickerei“, die der Philosophie der MEDI-Facharztverträge widerspricht: „Unser Anspruch ist es, echte Versorgungspfade zu etablieren, die auch insgesamt zu einer besseren Patientensteuerung beitragen.“ Zudem bedeuten Verträge, die nur eine begrenzte Zahl von Einzelleistungen abbilden, für die Praxen erheblichen bürokratischen Aufwand, den Smetak MEDI-Mitgliedern gern ersparen möchte.
Fachärztliche Vollversorgung ist eine Investition in die Zukunft
Doch er zeigt auch Verständnis für die Perspektive der Krankenkassen, deren wirtschaftliche Lage aktuell viele Verhandlungen erschwert. „Die finanziellen Spielräume sind kleiner geworden, seit die Kassen unter Gesundheitsminister Jens Spahn unter anderem partiell Rücklagen auflösen mussten“, gibt der MEDI-Vorsitzende zu bedenken. Schließlich geht ein Selektivvertrag zur fachärztlichen Vollversorgung initial mit Kosten einher, wie auch Jasmin Ritter bestätigt: „Es gibt auf lange Sicht zwar finanzielle Einsparungen, doch ein solcher Vertrag bedeutet erst einmal eine Investition in die Zukunft, weil die Versorgung umgelenkt werden muss.“ Derzeit haben die Vertragspartner in Sachen HNO-Vertrag also noch keinen gemeinsamen Nenner gefunden – dennoch bleibt das Thema auf der Agenda: „Wir bleiben mit der AOK im Gespräch“, verrät Smetak.
Doch auch ohne konkrete Perspektive für einen neuen HNO-Vertrag wird es in der MEDI Abteilung Vertragswesen nicht langweilig: So sind aktuell Vertragsanpassungen bei den Verträgen für Kardiologie, Gastroenterologie und Nephrologie in Arbeit. Daneben laufen weitere Gespräche mit den Berufsverbänden für Radiologie und Dermatologie – ebenfalls mit dem Ziel eines fachärztlichen Selektivvertrags. „Wir sehen die Selektivverträge als wichtigen Baustein einer besseren Versorgung – und entwickeln sie mit Augenmaß weiter“, betont Ritter.
Antje Thiel