MFA Petra Schäfer: „Wenn es nicht richtig ist, dann ärgert’s!“

Bei der vergangenen MEDI-Protestaktion „Jetzt reicht’s!“ im Juni 2023 auf dem Stuttgarter Schlossplatz hielt die Medizinische Fachangestellte und Praxismanagerin Petra Schäfer die erste Rede ihres Lebens. Ein flammender Vortrag zur aktuellen Lage der MFA. Vor rund 3.000 Menschen und mit viel Applaus. Ein halbes Jahr später haben wir nachgefragt, wie es ihr damit ergangen ist. 

Petra Schäfer hat mehr als 36 Jahre Berufserfahrung. Die bringt die 57-Jährige mühelos in einem Satz unter: Nach dem Abitur Berufskolleg, danach MFA gelernt, Abschluss 1987. 1994 drei Jahre Kinderpause, seit 23 Jahren beim jetzigen Chef. Ein beruflicher Glücksfall, auf den sie oft zu sprechen kommt und für den die Praxismanagerin einer Facharztpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie in Herrenberg dankbar ist.

Wer mitgerechnet hat, merkt, da fehlen ein paar Jahre. Sie sind für Petra Schäfer heute nicht mehr relevant. Sie sagt: „Die Praxis ist wie mein Kind.“ Das heißt viel Organisation, viel Stress. In der Praxis von Dr. Harald Stoll, die am PNP-Vertrag von MEDI  teilnimmt, arbeiten eine angestellte Ärztin, drei MFA-Kolleginnen und eine Auszubildende. Petra Schäfer ist auch Qualitätsmanagementbeauftragte und Teil eines Moderationsteams der EFA-Qualitätszirkel bei MEDI.

MFA wurden in der Pandemie vergessen

Als die Protestaktion auf dem Stuttgarter Schlossplatz organisiert wurde, fragte MEDI an, ob sie für die Medizinischen Fachangestellten sprechen wolle. Obwohl sie für den MEDI-Blog kurz vorher ein Interview über Wertschätzung gegeben hatte, war ihr mulmig. „Ich habe das erstmal mit meinem Chef besprochen, der fand die Idee großartig.“ Dann schrieb sie ihre Rede. Kurze Sätze. Klare, verständliche Worte. Die Hauptmotivation? „Ich finde es ungerecht, dass ausgerechnet die MFA keinen Corona-Bonus in der Pandemie bekamen. Unsere Belastung war immens, wir waren immer da, hatten nie Home-Office. Alle hatten Angst als Handschuhe und Masken nicht lieferbar waren.“ Petra Schäfer hatte nach einer ernsten Vorerkrankung auch Angst. Aus manchen Praxen hörte sie, dass man nicht in die Gänge kam, um Plexiglas und Luftfiltergeräte zu bestellen. Dann wieder anstrengende Debatten über kurzfristige Beschlüsse der Bundesregierung oder die Impfkampagne. Wenige Patientinnen und Patienten zeigten Verständnis. „Ständig Diskussionen, ständig Angst, ständig Aggressionen“, fasst die Praxismanagerin die Zeit damals zusammen. „Für die Krankenschwestern hat man geklatscht, uns MFA hat man vergessen. Ich sage das bei jeder Veranstaltung. Das Thema hat alle aufgeregt.“

Schrecksekunde und Glücksrad

„Ich hatte Respekt vor dem Auftritt“, sagt Petra Schäfer. Nachdem sie bei der Protestaktion ans Rednerpult gerufen wurde, folgte eine Schrecksekunde. „Als ich die vielen Leute sah, habe ich mich gefragt, ob ich von allen guten Geistern verlassen bin“, gibt sie zu und lacht: „Aber dann habe ich mir gesagt: Wenn ich kollabiere, sind ja genug Ärzte hier.“ Mit Blick auf das Glücksrad, an dem man sich Facharzttermine erdrehen konnte, scherzte jemand, dann müsse sie erst am Rad drehen. Doch als viele Kolleginnen aufmunternd und erwartungsvoll ihren Namen gen Bühne riefen, verflog die Aufregung. Sie sprach nicht länger als fünf Minuten, trotz Manuskript fast frei. „Einmal habe ich mich wiederholt, aber das haben alle mit Humor genommen“, erinnert sie sich. Erhebend und schön war es, resümiert sie. Alle anderen Reden fand sie auch begeisternd. Nach der Protestaktion saß sie mit Kolleginnen im Café. Ein ihr unbekanntes Praxisteam am Nachbartisch lobte ihre Rede.

Geld und andere Baustellen

Seit vielen Jahren ist Petra Schäfer Mitglied im Verband medizinischer Fachberufe. Trotzdem sagt sie bescheiden: „Eigentlich war ich die falsche Rednerin. Der Berufsverband führt die Gehaltsverhandlungen.“ Bei den Protesten geht es um Geld, aber nicht nur. „Alles ist immer zu wenig: Personal, Geld, Zeit oder Räumlichkeiten.“ Sie selbst wird für das Berufsbild fair und übertariflich bezahlt. Zudem stellt ihr der Chef seit 18 Jahren einen Geschäftswagen, alle vier Jahre bekommt sie ein neues Auto. „Personal muss leistungsgerecht bezahlt werden“, findet sie, „denn das bedeutet auch Wertschätzung und bindet Mitarbeitende an die Praxis.“ Andererseits: Im Land der Automobilindustrie verdient ein ihr bekannter ungelernter Produktionsarbeiter so viel wie sie. Auch Quereinsteiger ohne Ausbildung verdienen in Praxen zum Teil mehr. „Das ist ungerecht“, meint Schäfer. Bei MFA-Stundenlöhnen von 14 oder 16 Euro fragt sie: „Wie kann man sich so ausbeuten lassen? Wie sollen Alleinerziehende damit über die Runden kommen?“

Fehlende Wertschätzung

Beim staatlichen Corona-Bonus ist Petra Schäfer mittlerweile sehr pragmatisch: „Er wird nicht mehr kommen.“ Sie kennt viele Medizinische Fachangestellte, die den Beruf verlassen wollen oder bereits haben. Das wundert die engagierte Mittfünfzigerin nicht: „Die Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sind oft ungünstig, die Wertschätzung fehlt häufig und die Bezahlung ist oft nicht gut.“

Und dann sagt sie etwas Unerwartetes: „Ich bin jetzt 57 und werde sehr fair behandelt und bezahlt. Trotzdem hadere ich seit anderthalb Jahren mit dem Beruf und träume gelegentlich von der Rente. Dass ich noch dabei bin, liegt an meinem Chef und meinem Praxisteam.“ In ihrer Freizeit malt sie, kümmert sich um eine syrische Familie mit zwei Kindern und verbringt Zeit mit der Familie. „Soll ich lieber was mit Steinen machen als mit Menschen?“, fragt sie sich nach arbeitsreichen Tagen. Oder wenn Patienten wie kürzlich geschehen eine Kollegin als „Tippse“ bezeichnen. „So etwas lasse ich mir nicht gefallen“, sagt sie resolut.

Selbstfürsorge und Mut

Medizinische Fachangestellte erlebt Petra Schäfer oft als mutlos und zaghaft. Wenn ihr Kolleginnen im EFA-Qualitätszirkel sagen, dass der Chef sie geschickt habe, damit er fünf Euro mehr verdient, verdreht sie die Augen. „Man muss für sich einstehen und sich auch trauen, mit dem Chef zu verhandeln – auch über Verantwortlichkeiten“, sagt sie. „Viele MFA haben mehr Potenzial, als sie einbringen dürfen.“ Hat die Fachrichtung Psychiatrie und Psychotherapie, in der sie seit 23 Jahren arbeitet, etwas mit ihrem kämpferischen Auftreten zu tun? Sie denkt kurz nach. „Das ist vermutlich egal. Es ist mein Chef als Mensch, der mir vertraut und mich wertschätzt. Und ich habe viel für mich mitgenommen – beruflich und privat. Ich habe Selbstfürsorge gelernt und weiß, was sie möchte. Ich weiß auch viele Dinge mehr zu schätzen.“

Proteste versus Schichtmodelle

Schnell ist der kurze Berufsfluchtgedanke verflogen und Petra Schäfer überlegt, wie sich die Situation der MFA bessern könnte. An staatliche Unterstützung glaubt sie nicht mehr. In einer Facharztpraxis, in der sie selbst Patientin ist, hörte sie vom behandelnden Mediziner, dass sein Team eine Situation wie die Corona-Pandemie nicht noch einmal mitmachen würde. „Aber was ändert das?“, fragt sie. Streiken wie die Lokführer? „Bei denen ging‘s ratzfatz.“ Für Schäfer ist das dennoch keine Empfehlung. Dann lieber konstruktiv. „Die Leute wollen abends zum Arzt. Also müsste es statt langer Tage mit stundenlangen Mittagspausen alternative Arbeitszeitmodelle geben, beispielsweise Schichtdienst wie im Einzelhandel. Auch die Vier-Tage-Woche ist interessant.“ Letztere praktiziert sie mit 29 Wochenstunden selbst. Zwei langen Tagen folgen zwei halbe Tage. „Die freie Zeit brauche ich dann auch“, ergänzt sie.

Wann hält sie ihre nächste Rede? „Eher nicht“, lacht Petra Schäfer sehr spontan. Aber den Mund wird sie weiter aufmachen und Kolleginnen und Kollegen ermuntern, für sich einzustehen. Warum, ist ganz klar: „Wenn es nicht richtig ist, dann ärgert’s!“

Dagmar Möbius

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