Haus- und Facharztverträge: “Blaupause für Frau Warkens Primärarztmodell”

12. November 2025

Die Regierung will laut Koalitionsvertrag ein Primärarztmodell einführen. Dr. Cathérine Hetzer-Baumann ist Vorstandsmitglied bei MEDI und Hausärztin in Altenriet. Im Interview mit der MEDITIMES erklärt sie, warum das Primärarztsystem nur in Kombination mit den Selektivverträgen funktioniert und wie Bürokratie die ärztliche Arbeit täglich einschränkt.

MEDITIMES: Wie sehen Sie als Hausärztin auf dem Land die aktuelle Versorgungslage?

Hetzer-Baumann: Einige Praxen in unserer Region haben ihre Tätigkeit beendet, weil sie keinen Nachfolger gefunden haben. Das heißt, die verbliebenen Praxen mussten Patientinnen und Patienten auffangen und sind jetzt völlig überlastet. Das gilt auch für mein Praxisteam. Wir sind am Limit. Die hausärztliche Versorgung steht Spitz auf Knopf. Die Politik muss dringend die notwendigen Anreize schaffen, um die freiberufliche Selbstständigkeit zu fördern. Wir Selbstständigen haben oft ein höheres Arbeitspensum und engagieren uns aufopferungsvoll für die Versorgung. Davon profitiert das System, das muss sich aber auch für uns Niedergelassene auszahlen.

MEDITIMES: Was halten Sie als Hausärztin von dem geplanten Primärarztmodell?

Hetzer-Baumann: Prinzipiell ist die Idee gut. Wir brauchen mehr Steuerung in unserem System. Das vorgeschlagene Modell der Politik mit einem völlig veralteten EBM sehe ich hingegen sehr kritisch. Das macht die Versorgung nicht attraktiver. Im Gegenteil, die Versorgung würde zusammenbrechen. Wir haben seitens MEDI mit der HZV in Kombination mit den Facharztverträgen ein modernes Versorgungskonzept mit Steuerungsfunktion. Das funktioniert seit Jahren sehr gut und unsere Evaluationen zeigen deutlich: Die Versorgung ist besser und günstiger.

MEDITIMES: Der GKV-Spitzenverband hat vorgeschlagen, die HZV abzuschaffen.

Hetzer-Baumann: Das ist fatal. Mit der HZV haben wir ein prinzipiell solides und tragfähiges Versorgungssystem geschaffen, das stetig erweiterbar ist. Das KV-System hingegen gleicht einem in die Jahre gekommenen, kernsanierungsbedürftigen Gebäude: Ein standfestes Fundament fehlt. Das Versorgungsgebäude ist rissig und einsturzgefährdet. Ein Primärarztmodell darauf aufzubauen, wäre der Todes stoß für die Versorgung. Derzeit sichert die HZV das Überleben vieler Praxen und somit auch die Versorgung. Also, Primärarztmodell ja, aber nur in Kombination mit der HZV und den Facharztverträgen. Für schnellere Handlungs- und Verbesserungsmöglichkeiten im System braucht es regionale Verhandlungsstrukturen bis hin zu einem Kostenerstattungsprinzip.

MEDITIMES: Wir haben schon jetzt einen massiven Hausärztemangel. Belastet ein Primärarztsystem die Praxen nicht noch zusätzlich?

Hetzer-Baumann: Wir sehen, dass es durch die Selektivverträge eine Entlastung gibt, weil Patientinnen und Patienten besser versorgt werden und meist zufriedener sind. Als Primärärztin kann ich vieles besser steuern, unnötige Facharzttermine und Praxisshopping vermeiden. In der HZV können wir zudem beobachten, wenn Parallelstrukturen genutzt werden. Wir haben Einsicht in die Medikamentenverordnung, einen besseren Austausch mit den Facharztpraxen und können uns oft aufwendige Rückfragen sparen. Steuerung führt zu mehr Effizienz. Zudem haben wir durch die HZV eine zuverlässige und planbare Vergütung, die uns auch ermöglicht mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Unsere Haus- und Facharztverträge aus Baden-Württemberg sollten die Blaupause für Frau Warkens Primärarztmodell sein.

MEDITIMES: Wie können Hausärztinnen und Hausärzte am meisten entlastet werden?

Hetzer-Baumann: Praktikable und hundertprozentig funktionierende digitale Strukturen würden uns enorm entlasten. Alles, was nicht so funktioniert, wie wir es benötigen, wie beispielsweise die TI, belastet uns noch mehr. Wir müssen ständig in parallelen Strukturen arbeiten, weil es beispielsweise das eRezept nicht für Verbandsstoffe oder Hilfsmittel gibt oder weil Kliniken nicht mit KIM oder dem bundes einheitlichen Medikationsplan arbeiten, sondern andere Strukturen nutzen. Für uns ist das ein riesiger Mehraufwand. Wir Niedergelassenen hin gegen werden sanktioniert, wenn wir vorgegebene Strukturen missachten. So kann es nicht weitergehen!

MEDITIMES: Es geht also vor allem um Bürokratie.

Hetzer-Baumann: Ja, sie muss endlich massiv abgebaut werden. Hinter der Bürokratie verbirgt sich aber vor allem auch ein Misstrauen. Wir dürfen in unserem System nicht mehr frei handeln, sondern werden häufig wie Marionetten behandelt. Beispielsweise das Muster 52 zur Arbeitsunfähigkeit ist eine bodenlose Frechheit. Damit hinterfragt man unter anderem, ob wir Patientinnen und Patienten nicht zu lange krankschreiben. Warum sollen wir dazu Stellung nehmen? Wir schreiben sie doch nicht aus Spaß krank. Diese Nachfragen kann man ersatzlos streichen.

MEDITIMES: Was erwarten Sie von der Politik?

Hetzer-Baumann: Die Kassen müssen viel mehr in die Pflicht genommen werden, eigene Kosten zu senken. Warum hat ein Blutdruck-Patient alle zwei Jahre das Recht auf ein neues Messgerät? Wir müssen aber auch die Kompetenzen und Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger stärken, damit sie nicht wegen jeder Kleinigkeit in unsere Praxen kommen. Es gibt andere Hebel, als die HZV zu streichen oder die Kosten auf die Praxen abzuwälzen, wie es die Kassen jüngst gefordert haben. Wir Niedergelassenen machen den größten Teil der medizinischen Versorgung aus und werden dennoch vernachlässigt. Die Politik darf nicht weiter an uns sparen, sondern muss Anreize setzen, Sanktionen herunterfahren und unsere Leistungen  adäquat vergüten, um die ambulante Versorgung zu sichern und zukunftsfähig zu machen.

Tanja Reiners

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