Rückschritt in die Budgetierung ist der falsche Weg

30. Juni 2022

Als „deutlichen Schritt zurück in vergangene Zeiten“ bezeichnet Dr. Karsten Braun, Orthopäde und Unfallchirurg und Spitzenkandidat von MEDI Baden-Württemberg e. V. bei den KVBW-Wahlen 2022, die von Gesundheitsminister Lauterbach angekündigte Abschaffung der Entbudgetierung von TSVG-Neupatientinnen und -patienten.

Im TSVG wurde ein richtiger Teilschritt zu der von MEDI schon immer geforderten Abschaffung von Budgetierung ärztlicher Behandlung gegangen, indem besonders förderungswürdige Behandlungsfallkonstellationen ausbudgetiert vergütet wurden. Hiervon profitierten besonders Patientinnen und Patienten, da sie schnell Facharzttermine erhielten. Die vor allem für Facharztpraxen zunächst positiven Vergütungseffekte wurden allerdings schnell durch umfangreiche Bereinigungsregelungen und eine zusätzliche spätere Nachbereinigung stark abgeschwächt.

Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wurde 2021 zunächst eine Fortsetzung der Abwendung von planwirtschaftlicher Medizin durch Abschaffung der Budgetierung im hausärztlichen Bereich angekündigt. Diese Ankündigung war begrüßenswert, jedoch schon damals eine Mogelpackung, da sich die hausärztliche Vergütung im Land überwiegend im Bereich der von MEDI verhandelten Selektivverträge abspielt und hausärztliche Leistungen im Kollektivvertrag ohnehin zu 100 Prozent vergütet wurden.

Das Problem unserer Haus- und Fachärzte sind hingegen fehlende EBM-Gebührenordnungsziffern, mit denen erbrachte Leistung auch abgerechnet werden kann. „Lauterbachs Ankündigung betrifft überwiegend fachärztliche Praxen. Für die bedeutet die angekündigte Abschaffung der Entbudgetierung von TSVG-Neupatientinnen und -patienten einen deutlichen Schritt zurück in vergangene Zeiten“, so Braun. Und das in Zeiten horrender Inflation, deutlich erhöhtem Einsatz gegen Corona, seit Jahrzehnten nicht angehobener GOÄ-Vergütung und genereller Unterfinanzierung ärztlicher Leistungen.

Der Kandidat für die Nachfolge von MEDI-Mitbegründer Dr. Norbert Metke im Vorstand der KVBW richtet die Frage an die Politik: „Werden so ernsthaft die richtigen Signale zur Gewinnung ärztlichen Nachwuchses gesetzt?“ Deutschland steht vor einem riesigen Sicherstellungsproblem durch den politikverschuldeten Ärztemangel aufgrund fehlender ideeller und vor allem finanzieller Wertschätzung freiberuflicher ärztlicher Tätigkeit. Das zeigen auch die neuen Regelungen zu Apotheken-Dienstleistungen: Wenn Apotheken für eine reine Medikationsberatung neuerdings 90 Euro erhalten, viele Arztgruppen Patientinnen und Patienten dafür aber drei Quartale lang vollständig behandeln müssen, kann das junge Kolleginnen und Kollegen nur von der Niederlassung abschrecken. Und: Es setzt keine Anreize, eine Arztpraxis im Alter noch fortzuführen. „Wer hochwertige Gesundheitsversorgung haben will, wird lernen müssen, dass diese auch Geld kostet“, betont der Orthopäde.

Außerdem sind die Einspareffekte durch die beabsichtigte Maßnahme überschaubar. Denn ambulante ärztliche Behandlung machte 2020 an den Gesamtausgaben der GKV mit 44 Milliarden Euro nur 17,7 Prozent aus. „Hier wird an der falschen Stelle, mit den falschen Mitteln und gravierenden Konsequenzen für die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland geknausert. Die Politik sollte aufhören, auf das Gejammere einiger GKVen hereinzufallen. Immer weniger Ärztinnen und Ärzte und fehlende Leistungsanreize bedeuten automatisch längere Terminwartezeiten, weniger Zuwendung und weitere Wege. Das wollen weder wir Ärztinnen und Ärzte noch unsere Patientinnen und Patienten“, betont Braun.

Die Behauptung von Lauterbach, Patientinnen und Patienten könnten als Neupatientinnen und -patienten abgerechnet werden, obwohl sie keine seien, hält Braun für reine Stimmungsmache. Denn die KVBW habe automatisiert bei den eingereichten Arztabrechnungen die TSVG-Konstellation „Neupatient“ geprüft und entsprechend gestrichen oder zugesetzt – Manipulationen waren also nicht möglich.

„Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Fachärzteschaft als Dank für ihr Corona-Engagement einen solchen Betrug gefallen lassen wird: Einerseits die faktische Honorarkürzung, aber andererseits der Fortbestand der mit dem TSVG eingeführten Anhebung der Mindestarbeitszeit um fünf Stunden wöchentlich und der auf Kosten der Ärzteschaft betriebenen Terminservicestellen. Die Vertragsärztinnen und -ärzte wären gut beraten, ihr Leistungsangebot der rückschrittigen Budgetierung konsequent anzupassen“, empfiehlt Braun.

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