Ambulante Versorgung in Baden-Württemberg: Ärztliche Leistungen von rund 1,78 Milliarden seit 2015 wegen Budgetierung nicht vergütet

Laut einer aktuellen Auswertung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) auf Antrag des Ärzteverbands MEDI Baden-Württemberg e. V. wurden erbrachte ärztliche Leistungen von Vertragsärztinnen und -ärzten sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -therapeuten in den vergangenen zehn Jahren in einer Höhe von rund 1,78 Milliarden Euro aufgrund der Budgetierung nicht vergütet. MEDI geht davon aus, dass es sich bundesweit um einen zweistelligen Milliardenbetrag handelt und warnt eindringlich davor, „die ambulante Versorgung kaputtzusparen“.

Die Fraktion des Ärzteverbands MEDI Baden-Württemberg e. V. hatte in der vergangenen Woche in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) einen Antrag gestellt, die budgetierten Leistungen der niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -therapeuten der letzten zehn Jahre zu ermitteln. Die KVBW meldet eine Gesamtsumme nicht vergüteter Leistungen über alle niedergelassenen Fachgruppen hinweg von 2015 bis 2024 von 1.779.717.657 Euro. Das bedeutet: Diese Leistungen der Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -therapeuten wurden erbracht, aber aufgrund der Budgetierung nicht bezahlt.

„Diese beeindruckende Summe zeigt, welchen großen Beitrag niedergelassene Ärztinnen und Ärzte täglich leisten, um die ambulante Versorgung aufrechtzuerhalten und Patientinnen und Patienten zu versorgen – und das zum Teil ohne monetäre Honorierung. Seit Jahren wird auf dem Rücken der Niedergelassenen die ambulante Versorgung kaputtgespart“, kritisiert der Vorsitzende von MEDI Baden-Württemberg und niedergelassene Kardiologe Dr. Norbert Smetak. Die Zahlen lassen laut MEDI-Chef auch Rückschlüsse auf die Lage der niedergelassenen Ärzteschaft in ganz Deutschland ziehen. Man könne von einem zweistelligen Milliardenbetrag ausgehen, der nicht leistungsgerecht an die Praxen ausgezahlt wird.

„In keinem anderen freien Beruf werden erbrachte Leistungen einfach nicht bezahlt. Wenn wir das bei aktuell rund 4.200 Praxen in Baden-Württemberg auf eine Praxis herunterbrechen, liegen wir im Durchschnitt bei rund 424.000 Euro in den vergangenen zehn Jahren, die den Praxen und ihren Teams als Honorar vorenthalten wurden. Im Jahr 2024 waren es sogar rund 70.000 Euro. Das ist ein Grund, warum es immer schwieriger wird, zeitnahe Termine in den Haus- und Facharztpraxen zu erhalten. Warum sollen Praxen zusätzliche Termine anbieten, wenn schon das bisherige Terminangebot nicht voll bezahlt wird? Immer mehr jüngere Kolleginnen und Kollegen ziehen daraus ihre Konsequenzen – sie geben ihren Kassensitz ab oder lassen sich erst gar nicht mit einer eigenen Praxis nieder“, mahnt der stellvertretende MEDI-Vorsitzende und Hausarzt Dr. Michael Eckstein.

Scharfe Kritik übt der Ärzteverband auch an den aktuellen Sparplänen des GKV-Spitzenverbands, der die jüngst eingeführten Entbudgetierungen bei Hausärztinnen und Hausärzten sowie bei Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten und die Zuschläge für Terminvermittlungen wieder streichen will.

Nach Verbandsangaben deckt die ambulante Versorgung rund 90 Prozent der gesamten medizinischen Behandlung in Deutschland ab. „Seit Jahrzehnten erbringen wir Leistungen teilweise gratis – trotz explodierender Kosten. Die Forderungen des GKV-Spitzenverbandes, dass die niedergelassene Ärzteschaft auch ihren Beitrag leisten soll, empfinden wir als Hohn. Wir werden künftig keine Zugeständnisse mehr machen. Wenn weiter bei der ambulanten Versorgung gespart wird, trifft das nicht nur die Praxen, sondern die gesamte Gesellschaft“, warnt Smetak. MEDI fordert deshalb eine bundesweite Entbudgetierung aller Fachgruppen sowie eine effizientere Patientensteuerung, um das Gesundheitswesen finanziell zu entlasten, ohne die medizinische Versorgung dabei zu gefährden.

Zum Hintergrund der Budgetierung: Die Gesamtvergütung bestimmt, wie viel Geld die gesetzlichen Krankenkassen jährlich insgesamt für die Behandlung aller GKV-Versicherten ausgeben – unabhängig davon, wie viele Arbeitsstunden die Ärztinnen und Ärzte tatsächlich leisten. Die Krankenkassen bezahlen den größten Teil der Vergütung, die sogenannte Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) mit befreiender Wirkung an die Kassenärztlichen Vereinigungen. Das bedeutet, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit diesem Honorar auskommen müssen, auch wenn sie deutlich mehr leisten. In Baden-Württemberg betrug diese nicht vergütete Mehrleistung in den vergangenen zehn Jahren rund 1,78 Milliarden Euro.