Seit Mai dieses Jahres ist Nina Warken (CDU) Bundesgesundheitsministerin. Im Interview mit der MEDITIMES erzählt die gebürtige Baden-Württembergerin, was aktuell die größten Herausforderungen im Gesundheitssystem sind, wie sie die Stimmung der niedergelassenen Ärzteschaft erlebt und wie man junge Medizinerinnen und Mediziner für die Niederlassung motivieren kann.
MEDITIMES: Frau Bundesministerin, Sie sind seit einem halben Jahr im Amt. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage unseres Gesundheitswesens ein?
Warken: Die Lage der Kranken- wie die der Pflegeversicherung ist besorgniserregend. Beide Versicherungen habe ich in tiefroten Zahlen geerbt. Seit Jahren steigen die Ausgaben deutlich schneller als die Einnahmen. Das muss sich ändern. Dazu werden wir Reformen vorlegen. Und in der Zwischenzeit müssen wir mit Steuergeld die Lage stabilisieren.
MEDITIMES: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen? Was sind die wichtigsten nächsten Schritte, um das Gesundheitssystem zukunftssicher zu gestalten?
Warken: Es geht natürlich nicht nur um Finanzen: Wir müssen dafür sorgen, dass wir mit begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen dem steigenden Behandlungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft gerecht werden. Die Gesundheitsversorgung muss digitaler werden. Sie muss gleichermaßen erreichbar sein, aber sich auf notwendige Standorte konzentrieren – etwa in der Krankenhausversorgung. Und wir müssen Bürokratie abbauen. Ärzten und Apothekern geht sehr viel Zeit verloren, weil zu viel dokumentiert werden muss. Mit weniger Formalien bleibt mehr Zeit für Patientinnen und Patienten. Dann wird die Versorgung besser und man kann vielleicht sogar auf den einen oder anderen weiteren Arztbesuch verzichten. Was mir besonders wichtig ist: Ich mache Gesundheitspolitik für ganz Deutschland – nicht nur für Berlin Mitte. Auch Patienten auf dem Land müssen sich darauf verlassen können, dass ein Arzt in der Nähe ist, die Pflege funktioniert, das Krankenhaus erreichbar ist und gute Arbeit macht. Dafür arbeite ich.
MEDITIMES: Wie erleben Sie die Stimmung in der niedergelassenen Ärzteschaft?
Warken: Zunächst einmal mache ich die Erfahrung, dass viele im Gesundheitswesen – egal ob Ärzte oder Pflegekräfte – engagiert arbeiten und glücklich sind mit ihrem Beruf. Sie helfen und heilen gerne. Das dürfen wir nicht alles schlechtreden. Aber genauso wenig sollten wir die Augen vor den Problemen verschließen, die es gibt. Ich höre natürlich auch von Klagen über zu viel Bürokratie, fehlenden Nachwuchs und Überlastung. Vor allem bei Hausärzten.
MEDITIMES: Was muss passieren, damit sich junge Medizinerinnen und Mediziner wieder mehr für die Niederlassung interessieren?
Warken: Wir müssen die Rahmenbedingungen für niedergelassene Ärzte attraktiver machen. Die Honorare – zumindest der Hausärzte – wurden ja schon entbudgetiert. Und die Quartalslogik in der Abrechnung wurde durchbrochen. Das gibt mehr Zeit für Patienten – auch neue Patienten. Dadurch wird die Arbeit spannender. Dabei können wir allerdings nicht stehen bleiben. Die Prozesse in der Versorgung müssen ständig verbessert, der Praxisalltag entbürokratisiert werden. Da kann ein Primärarztsystem helfen, das wir jedoch gut planen müssen. Und wir werden verstärkt auf digitale Lösungen setzen – in der Praxis wie in der Klinik. Schließlich geht es auch ums Image des Berufs. Politik und Standesvertreter sollten nicht immer nur die Probleme wälzen, sondern auch positiv über diese attraktive Aufgabe sprechen. Wenn wir immer nur Risiken und Probleme einer Niederlassung betonen – wer soll sich dann dafür noch interessieren?
MEDITIMES: Angesichts der steigenden Kosten im Gesundheitssystem: Inwieweit sollten auch Bürgerinnen und Bürger mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen, unnötige Arztbesuche vermeiden oder teils noch verlässlichere Patientinnen und Patienten im Umgang mit Arztterminen sein?
Warken: Die Deutschen gehen häufiger zum Arzt als die Menschen in vielen anderen Ländern. Das führt allerdings nicht dazu, dass sie deswegen unbedingt gesünder sind oder länger leben. Deswegen brauchen wir mehr Steuerung, um unnötige Arztbesuche zu vermeiden und um Patienten, die darauf dringend angewiesen sind, schnellere Termine bei Haus- und Fachärzten zu verschaffen. Ich bin überzeugt, dass die Reformkommission, die wir jetzt einsetzen, dazu gute Vorschläge erarbeiten wird.
Tanja Reiners


