„Ohne Selektivverträge könnten wir als Praxis nicht überleben“

Die Allgemeinmedizinerin Dr. Christine Blum vertritt als Beisitzerin im Vorstand von MEDI Baden-Württemberg e. V. die Interessen der angestellten Ärztinnen und Ärzte. Sie hat sich von der Orthopädie und Unfallchirurgie verabschiedet, um die Hausarztpraxis ihres Vaters zu übernehmen – und kann sich nun keine andere Art zu arbeiten mehr vorstellen.

Wer einmal OP-Luft geschnuppert und die Liebe zum Operieren entdeckt hat, kann sich kaum mehr für die konservative Medizin begeistern – so sollte man zumindest meinen. Bei Dr. Christine Blum war es anders. „Ich habe leidenschaftlich gern in der Orthopädie und Unfallchirurgie gearbeitet“, berichtet die 41-Jährige. „Doch der Klinikalltag ist nun einmal, wie er ist. Und insbesondere in den chirurgischen Fächern ist er nicht unbedingt familienfreundlich.“ Eine Niederlassung als Orthopädin und Unfallchirurgin wiederum habe wegen der vorhandenen väterlichen Praxis und fehlender freier Sitze nie zur Debatte gestanden, erzählt die Ärztin und zweifache Mutter, deren Kinder heute fünf und acht Jahre alt sind.

Auf der anderen Seite gab es da eine hausärztliche Praxis, vor Jahrzehnten gegründet von ihrem Großvater, aus der sich nun auch ihr Vater langsam zurückziehen möchte. Blums Vater ist in Baden-Württemberg und auch bundesweit kein Unbekannter: Der Allgemeinmediziner Dr. Werner Baumgärtner ist einer der Gründungsväter von MEDI und war seit Ende der 1990er Jahre die vermutlich prägendste Galionsfigur des fachübergreifenden Ärzteverbands. „Ich habe die Optionen gründlich abgewogen, meinen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie gemacht – und mich dann darauf eingelassen und das Fach gewechselt. Rückblickend war es genau die richtige Entscheidung. Raus aus der Klinik, rein in die Praxis – ich möchte es nicht mehr anders haben“, berichtet sie.

Große Dankbarkeit, wenn man helfen kann

Am medizinischen Spektrum ihrer hausärztlichen Tätigkeit hat Blum schnell Gefallen gefunden: „Allgemeinmedizin ist ja Familienmedizin pur. Ich habe einige Patienten, die bereits bei meinem Opa in Behandlung waren. Man begleitet Familien, wenn es gut läuft, über Generationen“, schwärmt sie. Anders als im Krankenhaus, insbesondere in der Unfallchirurgie, baue man in der Hausarztmedizin eine langfristige Beziehung zu den Patientinnen und Patienten auf. „Man erfährt große Dankbarkeit, wenn man jemandem helfen kann. Und das ist ja das Ureigene, das unseren Beruf ausmacht“, erzählt sie. „Natürlich sind Patientinnen und Patienten auch nach unfallchirurgischen Eingriffen dankbar. Man flickt Brüche, baut neue Gelenke ein, aber man entwickelt keine so intensive Beziehung zu den Menschen, die man dort behandelt – vor allem in der Weiterbildungszeit ist man ja eher am Rande mit dabei.“

Doch nicht nur die Nähe zu ihren Patientinnen und Patienten gibt der Hausärztin das Gefühl, am richtigen Ort angelangt zu sein: „Es ist auch toll, sein eigener Chef zu sein, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen. In unserem Team macht das Arbeiten einfach Spaß“, meint sie. Dennoch war der Wechsel von der Klinik in die Niederlassung für sie ein Sprung ins kalte Wasser – daran änderte auch ihre familiäre Prägung nichts: „Zu meiner Klinikzeit habe ich natürlich einiges von dem mitbekommen, was mein Vater bei MEDI gemacht hat. Doch ich habe damals längst nicht alles verstanden.“

Ausbildung bereitet nicht auf Niederlassung vor

Erst mit dem eigenen Einstieg in die ambulante Versorgung begann sie, sich für berufspolitische Fragen zu interessieren. Blum erinnert sich: „Was es auf diesem Gebiet für Absurditäten gibt, wurde für mich erst spürbar, als ich selbst in der Niederlassung tätig war.“ Doch auch abseits der Berufspolitik fühlte sie sich durch ihre Ausbildung auf die Arbeit in der Niederlassung nicht gut vorbereitet: „Ich hatte keine Ahnung, in welchen Strukturen der Praxisalltag organisiert ist, was wir dürfen und was nicht, und wie die vielen Abrechnungsvorgaben funktionieren. Im Studium lernt man das nicht, und in der Klinik bekommt man es nicht mit.“ Die Ärztin sieht es als großes Glück, dass sie in eine gut laufende Praxis einsteigen, sich deren Betrieb in Ruhe anschauen konnte – und mit ihrem Vater einen erfahrenen Experten an ihrer Seite hat, den sie jederzeit um Rat fragen kann. „Wenn ich mir vorstelle, ich hätte die Niederlassung mit all ihren Facetten allein schultern müssen – da hätte ich große Manschetten gehabt!“

Knapp drei Jahre ist ihr Quereinstieg in die Allgemeinmedizin nun her, und inzwischen hat auch sie bei MEDI ihre politische Heimat gefunden. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die sie umtreiben. So stört sie sich unter anderem an dem engen Rahmen, in dem sich Niedergelassene bewegen: „Wir sind ja eigentlich Freiberufler – aber von Freiheit ist oft wenig zu spüren!“ Auch beim Stichwort Regresse reagiert Blum ungehalten: „Wenn ich weiß, dass ein Medikament medizinisch sinnvoll ist, es aber wegen Regressgefahr nicht aufschreiben darf, dann ist das absurd. Der Regress ist das Damoklesschwert, das immer über uns schwebt.“ Und natürlich stöhnt auch sie über die unzähligen bürokratischen Vorgaben, die bis in die kleinsten Winkel der Praxisorganisation reichen und viel zu viel ärztliche Arbeitszeit kosten. „Wir treffen wichtige und lebensnotwendige Entscheidungen für unsere Patientinnen und Patienten – werden in unserem System selbst aber so gegängelt. Diese Zeit würde ich viel lieber für meine Patientinnen und Patienten nutzen.“

Simple betriebswirtschaftliche Entscheidung

An MEDI gefällt ihr vor allem, dass der Verband konsequent fach- und sektorenübergreifend organisiert ist. „Das wird auch tatsächlich gelebt. MEDI ist an den richtigen Stellen vorne dabei, nennt die Dinge beim Namen und führt Proteste an. Das alles geht nur fachübergreifend“, meint sie und ergänzt: „Wenn nur die Hausärztinnen und Hausärzte entbudgetiert werden, die fachärztlichen Praxen aber nicht, dann treibt das nur einen Keil zwischen die Fachgruppen anstatt sie zusammenzubringen.“ Blum ist davon überzeugt, dass MEDI die Haus- und die Fachärzteschaft geeint hat: „Wir sind politisch in Baden-Württemberg so gut aufgestellt wie in keinem anderen Bundesland.“ Doch auch die Selektivverträge sieht sie als großes Verdienst von MEDI an: „Ohne sie könnten wir als Praxis nicht überleben. Ich empfehle deshalb allen jungen Kolleginnen und Kollegen, in diese Verträge einzusteigen. Das ist eine ganz simple betriebswirtschaftliche Entscheidung, mit Verträgen läuft es einfach besser als ohne.“

Doch auch politisch hat Blum sich die Mobilisierung der jüngeren Ärztinnen und Ärzte auf die Fahnen geschrieben. Gemeinsam mit Vorstandskollegin Dr. Cathérine Hetzer-Baumann treibt sie das Thema Young MEDI voran: „Wir sind gut vernetzt mit den jüngeren niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Bei MEDI findet man viel Knowhow zu jedem Thema der Niederlassung, aber man muss diese Expertise auch für die jungen Kolleginnen und Kollegen zugänglich machen“, berichtet sie. Und so geht es bei Young MEDI häufig darum, auf dem „kurzen Dienstweg“ passende Ansprechpersonen zu vermitteln, die in Sachen Zulassung oder Abrechnung beraten können. „Es ist aber auch hilfreich, wenn man weiß, wen man bei fachlichen Fragen ansprechen und an wen man Patientinnen und Patienten überweisen kann“, meint Blum.

Hartnäckig am Ball bleiben

Die Allgemeinmedizinerin kann zwar nachvollziehen, dass der ärztliche Nachwuchs schwer für berufspolitisches Engagement zu begeistern ist: „Ich habe selbst zwei Kinder, neben der Praxis fordert die Berufspolitik noch viel zusätzliche Aufmerksamkeit“, erzählt sie. Doch sie hat ihren Vater vor Augen, der ihr immer wieder erfolgreiches politisches Engagement vorgelebt hat: „Wir müssen die Dinge selbst gestalten, auf die wir Einfluss haben – sonst wird uns diese Option irgendwann auch noch von der Politik genommen“, ist sie überzeugt. Aus diesem Grund engagiert sie sich nicht nur bei MEDI, sondern auch in der Landesärztekammer. „Ich bin ein optimistischer Mensch, mein Glas ist immer halb voll“, beschreibt sie sich selbst. Für sie ist es eine Frage der Grundeinstellung, ob man resigniert oder sich aktiv einbringt. „Die Altvorderen bei MEDI haben viel bewegt, nun müssen wir hartnäckig am Ball bleiben – es bleibt uns ja auch nichts anderes übrig.“

Neben ihrer Praxis und ihrem berufspolitischen Engagement hat ihre Familie für Blum absolute Priorität. Zeit für Hobbys bleibt bei ihrem ehrgeizigen Pensum kaum, obwohl sie sich eigentlich gern beim Tennis oder auf dem Fahrrad sportlich austobt oder mit einem guten Buch zurückzieht: „Dafür ist später wieder Zeit, wenn die Kinder größer sind.“ Eine andere Leidenschaft allerdings wird nicht auf die lange Bank geschoben: „Ich liebe gutes Essen“, seufzt sie, „die italienische Küche ist mein absoluter Favorit.“ Oft steht sie selbst am Herd, aber außerhalb der Praxis verzichtet sie auch gern auf die Chefrolle: „Bei uns ist mein Mann der Chefkoch. Wenn er in der Küche steht, arbeite ich ihm zu und assistiere ihm.“

Antje Thiel

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