„Politik reagiert erst, wenn die Versorgung gefährdet ist“

 

Der Orthopäde Dr. Bernhard Schuknecht ist stellvertretender Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg e. V. Seine Beobachtung: Lange gab die Ärzteschaft ein inhomogenes Bild ab. Doch in den vergangenen Monaten ist eine neue innerärztliche Solidarität entstanden.

Als Dr. Bernhard Schuknecht 1999 als frisch niedergelassener Orthopäde in Heidelberg erstmals mit dem vertragsärztlichen System konfrontiert wurde, gab es in Baden-Württemberg noch vier eigenständige Kassenärztliche Vereinigungen (KVen). „Man ist ja erst einmal total ahnungslos, wie das KV-System überhaupt funktioniert“, erinnert er sich. Doch dann trudelten immer häufiger Faxe der Nordbadischen Ärzteinitiative (NAI) ein – eine Organisation, die es sich unter dem Vorsitz des Allgemeinmediziners Ekkehard Ruebsam-Simon zum Ziel gesetzt hatte, eine weitere Interessenvertretung neben dem KV-System aufzubauen, die dann 2004 in den Anschluss an MEDI Baden-Württemberg e. V. mündete.

„Mit der Zeit fand ich Gefallen an dem Gedanken, nicht mehr alles in diesem System einfach zu schlucken“, erzählt Schuknecht. Es störte ihn, als Niedergelassener in einem System gefangen zu sein, das mit freier Selbstständigkeit nicht mehr allzu viel zu tun hat: „Das hat zunehmend schlechte Laune erzeugt. Denn ich bin von Haus aus jemand, der sich gegen Ungerechtigkeit wehrt und sich nicht gern für dumm verkaufen lässt“, beschreibt Schuknecht seine damalige Stimmung. Gleichzeitig beobachtete er, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich nicht intensiv genug mit berufspolitischen Fragen befassen mochten. „Es fehlte ihnen an Zeit und Energie, weil sie mit Praxisgründung, Familie oder anderen Themen komplett ausgelastet waren. Dabei lässt sich das Schlimmste doch nur dann verhindern, wenn man weiß, worum es geht!“

„Die KV ist nicht unsere Interessenvertretung“

Die Standesvertreter in den Gremien von KV und Ärztekammer hätten damals den Kontakt zur Basis verloren, meint Schuknecht, „Das war lange bevor MEDI eine treibende Kraft innerhalb der KV war. Die damalige KV-Führung hat die Lage für ihre Mitglieder meist eher verschlechtert als verbessert.“ Nicht ohne Grund probten seinerzeit viele MEDI-Mitglieder den Aufstand und dachten über den Systemausstieg nach – Stichwort Korbmodell. Von derlei Vorhaben ist heutzutage zwar nicht mehr die Rede, zumal die KV inzwischen personell ganz anders aufgestellt ist. „Doch bis heute haben etliche Kolleginnen und Kollegen nicht verstanden, dass die KV nicht unsere Interessenvertretung ist, sondern als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen staatlichen Auftrag erfüllen muss“, betont der Orthopäde. Und hierzu zählen nun einmal auch unliebsame Aufgaben wie Zulassungsbeschränkungen, Regresse und Budgetierung.

Dass die Honorierung ärztlicher Leistungen in Baden-Württemberg auskömmlicher ist als in vielen anderen Bundesländern, ist auch den von MEDI entwickelten und ausgehandelten Haus- und Facharztverträgen zu verdanken. Der Startschuss fiel 2008 mit dem ersten landesweiten Hausarztvertrag, in den darauffolgenden beiden Jahren wurden erst der Kardiologie- und dann der Gastroenterologievertrag unterzeichnet. 2011 folgte der Vertrag für Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie. „Und als nächstes gelang es MEDI 2013 mit dem Orthopädievertrag, auch für meine Fachgruppe einen Vertrag zu vereinbaren“, erinnert sich Schuknecht. Er beschreibt den Selektivvertrag als „vergleichsweise einfach konstruiert“. Vor allem aber werden Leistungen darin in Euro statt in Punkten vergütet. Das hat neben einem um rund 30 Prozent höheren Honorar gegenüber dem Kollektivvertrag auch den Vorteil, „dass man schneller versteht, welches Honorar man pro Fall erzielt“. Der Erfolg der Selektivverträge spricht sich längst auch bundesweit herum: „Ich werde von Kolleginnen und Kollegen aus anderen KV-Bezirken oft gefragt, warum sie sich nicht auch diesen Verträgen anschließen können“, berichtet Schuknecht. Für ihn ist deshalb klar, dass es Ziel sein muss, MEDI samt seiner Selektivverträge auch in anderen KV-Bezirken als Baden-Württemberg auszurollen.

„Ich lerne MEDI noch einmal ganz neu kennen“

Als Vorstandsmitglied, das erst in diesem Jahr das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden übernommen hat, ist Schuknecht allerdings erst einmal voll und ganz damit beschäftigt, sich in die MEDI-Führungsebene einzuarbeiten: „Das war ein gewaltiger Sprung, durch den ich MEDI noch einmal ganz neu kennenlerne.“ Dabei helfen ihm zum Beispiel. die wöchentlichen Meetings, bei denen die vierköpfige MEDI-Führungsspitze sich über sämtliche aktuellen Projekte, Aktivitäten und Positionen austauscht.

Derzeit stehen dabei natürlich die aktuellen Protestaktionen im Mittelpunkt, mit denen MEDI nicht nur die Rahmenbedingungen für ärztliche Arbeit, sondern auch etliche weitere Missstände im Gesundheitswesen anprangert. „Das erfordert viel Abstimmung und Koordination mit anderen Verbänden“, weiß Schuknecht, der in diesem Zusammenhang auch die jüngst personell aufgestockte Abteilung für Unternehmenskommunikation und Marketing lobt: „Dank unserer Presseabteilung können wir nun blitzschnell reagieren. Es läuft fast wie bei einer großen Partei mit unseren schnellen medienwirksamen Reaktionen. Das ist echt ein Quantensprung, der uns mittlerweile auch zu deutlich größerer medialer Zustimmung verhilft.“

Proteste werden endlich wahr- und ernstgenommen

Diese Entwicklung macht dem Orthopäden ebenso viel Hoffnung wie die wachsende innerärztliche Solidarität, die ihm in den vergangenen Monaten aufgefallen ist: „Vorher waren wir als Ärzteschaft viel zu inhomogen. Jetzt sagen immer mehr Kolleginnen und Kollegen, dass es ihnen reicht. Deshalb werden die Proteste mittlerweile auch in Berlin wahr- und ernstgenommen“, meint Schuknecht. Hinzu komme, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren 30 Prozent aller Vertragsärztinnen und -ärzte in den Ruhestand gehen – ohne dass es Nachfolgerinnen und Nachfolger für ihre Praxen gibt. „Die Politik reagiert erst, wenn die Versorgung gefährdet ist. Daher ist das jetzt eine Chance, unsere Forderungen durchzusetzen“, meint der Orthopäde.

Allerdings wünscht er sich eine stärkere Beteiligung der Vertragsärzteschaft an den Protesten. Die unverändert geringe Wahlbeteiligung bei KV- und Ärztekammer-Wahlen spricht in seinen Augen dafür, dass es weiterhin vielen Ärztinnen und Ärzten an berufspolitischem Interesse und Engagement mangelt. „Dabei geht es doch um ganz elementare Fragen. Wenn es erst zu einem System von Polikliniken kommt, von dem Karl Lauterbach und die Grünen träumen, würde sich vieles ändern. Dann hätten wir große Zentren und Ambulanzen in den Krankenhäusern, wo Patienten heute von Herrn Dr. X und morgen von Frau Dr. Y behandelt werden“, warnt Schuknecht. Mit seiner Vorstellung einer tragfähigen Arzt-Patienten-Beziehung hat ein solches Modell nicht viel gemein. 

Das vierte Kind der Familie ist ein Oldtimer

Bei aller Leidenschaft für seine berufspolitischen Ziele legt der Orthopäde auch privat viel Wert auf stabile Beziehungen: „Ich bin ein echter Familienmensch, genieße mein Zuhause und das Zusammensein mit meiner Frau und unserer Tochter, die noch zu Hause lebt. Wenn eine solche Basis fehlt, funktioniert auch alles andere nicht.“ Eng verbunden fühlt sich Schuknecht auch dem ‚vierten Kind‘ seiner Familie, einem Alfa Romeo Spider Cabrio, Baujahr 1972. „Meine Frau und ich sind echte Oldtimer-Fans und nehmen auch gern an Oldtimer-Rallyes teil“, erzählt er. Außerdem schlägt in ihm als Fan und Mitglied von Borussia Dortmund auch ein großes Fußballer-Herz: „Ich spiele – wenn es die Zeit erlaubt – freitagabends mit Gleichgesinnten in einer Mannschaft, das macht ungeheuer viel Spaß.“ Wenn einer seiner Mitspieler sich im Spiel verletzt, ist natürlich sein orthopädischer Sachverstand gefragt, „das ist aber auch völlig okay!“

Antje Thiel

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