„Wir werden unsere Proteste eskalieren lassen“

Der stellvertretende MEDI-Vorsitzende und Hausarzt Dr. Michael Eckstein managt die Protestaktionen bei MEDI. Im vergangenen Sommer kamen rund 3.000 Ärztinnen, Ärzte und MFA auf den Schlossplatz, um zu demonstrieren. Im Interview erzählt Eckstein, wie es jetzt mit den Protesten weitergeht und wie er die politische Lage einschätzt.

MEDI: Wie geht es nach der großen MEDI-Protestaktion im Juni auf dem Stuttgarter Schlossplatz jetzt weiter in punkto Proteste?

Eckstein: Die große MEDI-Protestaktion am 21. Juni auf dem Schlossplatz in Stuttgart war quasi die Initialzündung zu einer ganzen Reihe von weiteren Protestaktionen. Es war wichtig, dass sich in Stuttgart viele Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Verbänden versammelt haben und so eine große Geschlossenheit demonstriert wurde.

MEDI: Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat vor einigen Tagen Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, nachdem die Stimmung in der ambulanten Versorgung auf dem Tiefpunkt stehe. Wie schätzen Sie die aktuelle Stimmung ein?

Eckstein: Ja, das stimmt: Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren nur bei den Ärzteprotesten 2006 und bei unserem MEDI-Korbmodell 2009 eine ähnliche Stimmung erlebt. Jetzt verschärft sich die Situation durch die Demografie der Ärzteschaft: Die Versorgung ist absolut gefährdet.

MEDI: Was sind aktuell die wichtigsten Forderungen?

Eckstein: Wir haben ein Forderungspaket mit dem Ziel, die ambulante Versorgung in den nächsten Jahren zu sichern. Von der Politik kam seit Jahren überhaupt nichts. Wir fordern eine Honorierung, die den Praxen das Überleben sichert. Wir fordern die Abschaffung von Budgets. Die Nichtbezahlung von erbrachten Leistungen ist indiskutabel und inakzeptabel. Wir fordern eine sinnvolle Digitalisierung, die uns in der Versorgung der Patientinnen und Patienten hilft. Der jetzige Digitalmurks kostet viel Geld, viel Nerven und bringt bisher keine Erleichterung. Wir fordern weniger Bürokratie! Viel zu viele Stunden müssen wir für Bürokratie aufwenden, anstatt diese Zeit in die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu investieren.

MEDI: Herr Lauterbach stellt sich stur zu den Forderungen, die auf dem KBV-Krisentreffen gestellt wurden und hat das Ultimatum völlig ignoriert. Wie kann man überhaupt zu den Politikerinnen und Politikern noch durchdringen?

Eckstein: Die Reaktion von Herrn Lauterbach auf den Brief der KBV ist eine Frechheit und gehört sich für einen Minister nicht. Deutlicher kann man nicht zeigen, dass man in einer anderen Welt lebt. Wir werden unsere Proteste eskalieren lassen, und wir werden so lange weitermachen bis Reaktionen erfolgen. Wenn die Patientinnen und Patienten merken, wie sehr die Politik ihre ambulante Gesundheitsversorgung gefährdet, dann wird sich der Unmut gegen die Politik richten. Und dann werden diejenigen, die gewählt werden wollen, irgendwann aufwachen. Das heißt: Wir müssen vor allem auch unsere Patientinnen und Patienten für die aktuelle Lage noch stärker sensibilisieren.

MEDI: Was wäre die nächste Eskalationsstufe, wenn Ärzteschaft und MFA nicht gehört werden?

Eckstein: Bei MEDI, bei den anderen Verbänden, aber auch in den Körperschaften werden aktuell intensiv Leistungsreduzierungen diskutiert. Wir werden klären, wie wir unsere Leistungen dem begrenzten Honorartopf anpassen. Unbegrenzte Leistungen für begrenztes Honorar wird es in Zukunft nicht mehr geben. Innerhalb der Ärzteschaft wird auch der Ruf nach Praxisschließungen immer lauter. Wir schließen auch das nicht aus.

Welche Rolle spielen die Patientinnen und Patienten bei den ganzen Protesten?

Eckstein: Uns ist bewusst, dass Leistungsbegrenzungen oder Praxisschließungen möglicherweise zunächst Unmut bei den Patientinnen und Patienten erzeugen. Aber durch Aufklärung in Form von Patienteninformationen, durch Plakate und natürlich durch Gespräche vermitteln wir, dass wir gemeinsam für die weitere gute ambulante Versorgung kämpfen. Die Patientinnen und Patienten merken auch, dass in der Versorgung etwas nicht mehr stimmt. Sie finden keine Ärztin oder keinen Arzt mehr, die Wartezeiten zu Untersuchungen werden immer länger und auch den Patientinnen und Patienten ist klar, dass viele ältere Kolleginnen und Kollegen demnächst aus der Versorgung ausscheiden.

 MEDI: Wie läuft die Organisation der Proteste intern bei MEDI ab?

Eckstein: Wir haben unter meiner Leitung im vergangenen Frühjahr ein sogenanntes Protestteam aufgestellt, das zunächst den großen Stuttgarter MEDI-Protesttag im Juni organsiert hat. Dieses Team trifft sich jetzt nahezu wöchentlich und diskutiert und organisiert die weiteren Protestaktionen. In diesem Team sind neben mir weitere Ärztinnen und Ärzte, die viel Input liefern – und vor allem Marketing- und Kommunikationsexpertinnen. Der MEDI-Chef Dr. Norbert Smetak kommuniziert vor allem auf Bundesebene mit den Verbänden.

MEDI: Was ist Ihre persönliche Motivation für Ihr großes Engagement?

Eckstein: Mich motivieren mehrere Faktoren: Erstens, der Unmut über die miserable Gesundheitspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte. Die Probleme der Versorgung waren schon lange absehbar, aber die Politik hat überhaupt keine Anstalten gemacht, strukturell etwas zu verbessern. Das kann einen nicht ruhig lassen. Zweitens, die wirkliche Sorge um die weitere ambulante Patientenversorgung. In den nächsten Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge aus der Versorgung ausscheiden. Und es ist völlig unklar, wie dann die Versorgung aussehen soll. Und zu guter Letzt liegt die Motivation vielleicht auch im Naturell jedes Einzelnen.

Alle Infos zu den Ärzteprotesten finden Sie hier

Tanja Reiners

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