„Wir müssen uns für neue Herausforderungen besser aufstellen“

Mit einem herausragenden Ergebnis wurde der MEDI-Spitzenkandidat Dr. Wolfgang Miller für weitere vier Jahre zum Präsidenten der Landesärztekammer Baden-Württemberg gewählt. Im Interview gibt er einen Überblick über alte und neue Projekte, Künstliche Intelligenz und erzählt, warum das Fax leider im immer noch nicht ausgedient hat und was das mit der TI zu tun hat.

MEDI: Herr Dr. Miller, Sie sind der alte und neue Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Glückwunsch! Sehen Sie das eher als Ansporn oder überwiegt die Belastung?

Miller: Natürlich ein Ansporn. Ich mache das ja gerne. Im Sport ist die Langstrecke eher mein Ding als das Kunstturnen. Und in diesem Bild bin ich gerade warmgelaufen. Jetzt heißt es durchhalten, nur so ist das Ziel zu erreichen. Und dafür lohnt es sich, immer neu zu kämpfen.

MEDI: Die Pandemie hat viele Menschen schwer belastet, auch im Gesundheitswesen. Sehen Sie Ansätze für notwendige Veränderungen für die Zukunft?

Miller: Die Menschen haben vieles ausgehalten, sie haben aber dazugelernt. Auch die Kammer ist nicht mehr die alte. Wir haben unsere Ziele neu justiert. Digitalisierung, Fernbehandlung, Online-Formate im Alltag, all das ist selbstverständlich geworden. Dabei müssen wir uns für neue Herausforderungen besser aufstellen: Wie wird unsere Gesellschaft krisenfest? Diese Frage stellen sich gerade unsere Abgeordneten. Die Kammer hat aktiv mitgearbeitet in der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landtags. Das bedeutet Vorsorge für extreme Szenarien, aber auch eine leistungsfähigere Regelversorgung. Die Koordination der Notfallversorgung, die Gewährleistung von Spitzenmedizin trotz begrenzter Ressourcen, auch der Verzicht auf unnötige Bürokratie – das sind die aktuellen Herausforderungen für die Ärztinnen und Ärzte. Dabei muss die Kammer unterstützen.

MEDI: Was bedeutet das konkret, die Ärzteschaft bei der Berufsausübung besser zu unterstützen?

Miller: Intern müssen wir unsere Verwaltungsprozesse noch glatter aufstellen. Der Übergang von der Papierwelt auf die digitale Welt ist überall mehr oder weniger holprig, das Online-Zugangsgesetz verpflichtet die gesamte öffentliche Verwaltung dazu. Hier sind wir unmittelbar betroffen. Bei allen standardisierten Prozessen muss Raum sein für individuelle Lösungen. Nach außen, gegenüber den Kassen, der Regierung und den Medien, werden wir uns kompromisslos vor die Kolleginnen und Kollegen stellen. Die Beziehung zu unseren Patientinnen und Patienten duldet keine Übergriffe. Auch der Datenschutz ist hier nicht verhandelbar.

MEDI: Gibt es irgendetwas im Rahmen der Weiterbildungsordnung, was Sie gerne ändern würden?

Miller: Die Weiterbildungsordnung ist ein Rahmen, der mit Leben gefüllt werden muss. Wir sind mit der neuen Weiterbildungsordnung noch ganz am Anfang. Mitte des Jahres endet die Übergangsfrist für die Weiterbildungsbefugnisse. Unsere Geschäftsstellen, unsere engagierten Kolleginnen und Kollegen, die hier für die Kolleginnen und Kollegen arbeiten, werden jeden Tag etwas sicherer in der Anwendung. Das hat für mich jetzt Vorfahrt. Wir sollten nicht schon wieder nach der nächsten Novelle rufen, bevor die aktuelle überhaupt eingeführt ist.

MEDI: Welche Projekte nehmen Sie aus der vergangenen Wahlperiode mit?

Miller: Wir müssen unsere Berufsordnung weiterentwickeln. Die klassische Trennung zwischen Kliniktätigkeit und Niederlassung in der eigenen Praxis taugt nicht mehr. Flexibilisierung ist wichtig. Dabei dürfen wir unsere ärztliche Kompetenz nicht an Investoren verkaufen, für die vor allem der Profit und nicht die gute Versorgung im Vordergrund steht. Das wurde in der Pandemie ein Stück weit vertragt. Wir müssen in der Zusammenarbeit mit den anderen Gesundheitsberufen die Verantwortung behalten. Wir sprechen uns ab, wir wollen gemeinsam die Bedingungen diskutieren, die Qualität unserer Versorgung darf nicht zur Disposition gestellt werden, weil nicht immer und überall jede Fachärztin oder jeder Facharzt greifbar ist. Wir können das besser. In diese Diskussion bringen wir uns bereits jetzt aktiv ein. Konkret leite ich selbst bei der Bundesärztekammer als Co-Vorsitzender den Ausschuss ambulante Versorgung und den Ausschuss Berufsordnung. Außerdem habe ich in der vergangenen Wahlperiode in der AG Akut- und Notfallmedizin, in der AG Notarztindikationskatalog, in der Task-Force Arbeitsmedizin, in der AG ÖGD und in der AG Klimawandel und Gesundheit mitgearbeitet. Das sind einige Beispiele für die drängenden Themen. Daneben betreffen uns alle die großen Herausforderungen der Gesellschaft, die soziale Ungleichheit, die Flüchtlingsströme und die Kriege, die aktuell auch heute auf unserer Erde jeden Tag Tod und Unglück bringen.

MEDI: Haben Sie auch neue Projekte auf der Agenda?

Miller: Wir wollen eine Initiative zur Verwaltung der kurzen Wege starten. Das Wort Bürokratieabbau ist ziemlich abgegriffen. Viele, die das fordern, erfinden für eine abgeschaffte Regel drei neue. Entscheidend ist, dass die Prozesse sich an den Menschen orientieren und nicht umgekehrt. Und wenn etwas zig Jahre immer gleich gemacht wurde, bedeutet das nicht, dass wir es nicht auch ganz anders lösen können. Ich will Mut und neue Ideen fördern, ich habe hier meinen Vorstand und meine Verwaltung hinter mir. Alle müssen mitmachen.

MEDI: Es wird viel über Künstliche Intelligenz gesprochen, angeblich würde sich der Text-Roboter ChatGPT in einem Medizin-Examen ganz gut schlagen. Sind KI-Behandlungspfade die Zukunft?

Miller: Die KI ist eine große Chance: Der Rechner kann vieles zielsicherer lösen und klären, was wir uns früher mit dem Handbuch in der Kitteltasche oder mit dem Besuch in der Bibliothek zusammensuchen mussten. Seit dreißig Jahren hilft uns das EKG-Gerät beim Befunden eines EKGs, das gehört zum Alltag. Warum sollten wir uns bei Laborwerten oder Röntgenbildern nicht auch helfen lassen? Die Verantwortung für die Diagnosestellung und die Therapieentscheidung wird immer ärztlich getroffen.

MEDI: Wie kommunizieren Sie als Präsident der Ärztekammer eigentlich mit Kliniken und Praxen? Digital, per Telefon, Post oder Fax?

Miller: Am liebsten telefoniere ich mit den Kolleginnen und Kollegen, wenn es die Zeit erlaubt, treffe ich mich persönlich, gehe zur Fortbildung ins Krankenhaus. Das persönliche Gespräch ist durch nichts zu ersetzen. Die Übertragung zum Beispiel von MRT-Bildern und zugehörigen Befunden klappt digital zunehmend besser. Leider haben wir trotz aller staatlich verordneter TI kein einheitlich funktionierendes System. Hier ein QR-Code, dort eine Ziffernkombination, dann die Frage, wie die Daten vom Bildschirm in die Patientenakte kommen – all das ist nicht gut gelöst. Normale Mails oder Röntgenbilder per WhatsApp, was die Patienten ja gerne nutzen, sind nicht erlaubt. Allerdings geht die Entwicklung weiter. MEDI ist ja auch dabei, die Praxisverwaltung, die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten und auch innerhalb des Gesundheitswesens auf eine gemeinsame Plattform zu bringen. Das müssen wir lösen, und das werden wir lösen.

Na ja, und bis wir dort sind, werden wir auch weiterhin Faxe schicken. Das ist zwar altmodisch, aber es funktioniert wenigstens. Wenn ich eine Patientin oder einen Patienten untersucht habe und den Befund besprochen habe, ist der Arztbrief fertig. Den gebe ich der Patientin oder dem Patienten mit und lege ihn gleichzeitig aufs Fax für die Hausärztin oder den Hausarzt. Solange dieser Prozess schneller und zuverlässiger ist als eine Verschlüsselung in der TI mit ungewisser Übertragung, wird das seinen Platz in der Versorgung behalten. Dafür muss sich auch niemand entschuldigen. Wir müssen nicht die Versorgung an einen elektronischen Prozess anpassen. Der Prozess muss der Versorgung folgen.

Ruth Auschra

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