»Kein Fachgruppen- und Sektorendenken!«

Der niedergelassene Chirurg und Sprecher der MEDI-GbR Stuttgart, Dr.   Wolfgang Miller, kandidiert bei der diesjährigen Kammerwahl. Er steht auch für das Amt des Präsidenten der Landesärztekammer Baden-Württemberg bereit. In der MEDITIMES sprach Angelina Schütz mit ihm über seine Ziele und Prioritäten.MEDITIMES: Herr Dr. Miller, ganz direkt gefragt: Warum soll man Sie wählen?Miller: Ich möchte, dass der Arztberuf der schönste Beruf der Welt bleibt. Die Kammer muss die Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützen. Ich gelte als sorgfältig und bringe das, was ich angepackt habe, auch zu Ende. Außerdem bin ich kein Bürokrat, der die Dinge nach einem stereotypen Muster umsetzt. Meine Kolleginnen und Kollegen können sich bei mir darauf verlassen, dass ich mich, wo immer es möglich ist, für eine Lösung in ihrem Sinne einsetzen werde. Letztlich wollen wir unsere Patienten gut versorgen und dabei selbst nicht krank werden. Dazu sind konkrete Verbesserungen und Weiterentwicklungen für unseren Berufsstand dringend nötig.MEDITIMES: Welche wären das?Miller: Ich stehe für eine Weiterbildungsordnung, die Qualifikation ermöglicht und die Kolleginnen und Kollegen nicht behindert, für eine Fortbildung ohne Produktwerbung und für eine moderne Berufsordnung. Wir müssen die Patientenversorgung im Blick haben, statt Fachgruppen- und Sektorengrenzen zu verteidigen. Die Landesärztekammer hat 65.000 „Experten“ aus vielen Bereichen. Wenn wir mit einer Stimme sprechen, kommt die Politik nicht an uns vorbei. Die Vertreterversammlung, die Ausschüsse, der Vorstand – alle diese Gremien tragen dazu bei. Außerdem braucht unsere Landesärztekammer ein modernes Webangebot.MEDITIMES: Wie soll das aussehen?Miller: Ich denke da an eine App. Mit Schlagwortsuche, einer klaren Fortbildungsübersicht, in der ich am Nachmittag sehe, wo am Abend in meiner Nähe welche Fortbildung stattfindet. Mit einem funktionierenden GPS-Routing dorthin. Eine Erinnerungsfunktion im Weiterbildungsportal kann den Weiterbildungsbefugten und den Assistenten unterstützen. Außerdem müssen wir die Kooperation für die Kolleginnen und Kollegen erleichtern und die Telemedizin rasch weiterentwickeln.MEDITIMES: Welche Sorgen und Nöte Ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Praxen haben für Sie Priorität?Miller: Viele haben Angst vor einer Gängelung. Je lauter nach dem Datenschutz gerufen wird, desto mehr Konsequenzen hat das: Lückenlose Überwachung jeder einzelnen Prozedur, in Klinik und Praxis, maschinelle Profile unseres Tagesablaufs, Praxisbegehungen auch ohne Anlass. Und dazu noch die verpflichtende Telematikinfrastruktur und die Umsetzung der DSGVO. Das erreicht ein Ausmaß, das viele Kolleginnen und Kollegen als Bedrohung empfinden. Ich persönlich kann es kaum erwarten, bis wir endlich Patientendaten austauschen dürfen. Keiner hat etwas dagegen. Aber es läuft derart holprig, dass wir über Details streiten und dabei das Ziel aus den Augen verlieren. Hier wünsche ich mir auch von der Kammer eine klare Stellungnahme.MEDITIMES: Welche Entscheidungen des letzten Deutschen Ärztetags im Mai waren für Sie am wichtigsten?Miller: Die Entscheidung für die Fernbehandlung und die Verabschiedung der neuen Musterweiterbildungsordnung.MEDITIMES: Warum gerade diese beiden?Miller: Die Fernbehandlung haben wir in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht. Wir können stolz darauf sein, dass der Ärztetag sie mit großer Mehrheit übernommen hat. Die Weiterbildungsordnung ist für mich ein Auftrag: Wir haben trotz achtjähriger Vorarbeit einen unfertigen Entwurf verabschiedet. Das Gute daran: Wir sind aufgefordert, ihn mit Augenmaß anzupassen und in Landesrecht umzusetzen im Sinne unserer Kolleginnen und Kollegen in Baden-Württemberg. Die Weiterbildungsordnung ist für mich das wichtigste, vielleicht auch das aufwendigste Projekt. Deswegen müssen wir sie schnell anpacken. Sie ist die Grundlage für die Versorgung, für die Bedarfsplanung, für den Beruf in Klinik und Praxis. Was wir heute regeln, wird Tausende Kolleginnen und Kollegen ihr ganzes Berufsleben lang begleiten.MEDITIMES: Warum braucht die Landesärztekammer im Südwesten einen niedergelassenen Arzt an ihrer Spitze?Miller: Als niedergelassener Arzt bin nicht nur für meine Patienten verantwortlich, sondern auch für meinen Praxisbetrieb. Damit habe ich einen anderen Blick auf Vorschriften, Weichenstellungen in der Sozialpolitik und öffentliche Debatten. Ich muss jeden Tag mit begrenzten Mitteln gute Medizin machen und mein Team dabei mitnehmen. Ich weiß, dass Weiterbildung etwas kostet – deswegen ist sie auch wertvoll. Ich weiß, dass unsere Praxen gegenwärtig nur dank der Selektivverträge und der Privateinnahmen überleben können. Daran kommen wir in der Diskussion über die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens nicht vorbei.MEDITIMES: Sie kennen aber nicht nur den Praxisbetrieb, sondern waren auch im Krankenhaus tätig.Miller: Ja, ich war zehn Jahre angestellt. In der Mitarbeitervertretung des Krankenhauses habe ich mich für die Kolleginnen und Kollegen eingesetzt. Die Kliniken sind heute gewollt unterfinanziert. Das Defizit in den Investitionskosten, die Abschläge im DRG-System sollen die Kliniklandschaft bereinigen. Hier müssen wir für eine gute Versorgung kämpfen. Ich habe Wehrdienst als Truppenarzt geleistet – eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus will ich diese Vielfalt vertreten.MEDITIMES: Kommen wir zu den MEDI-Zielen und -projekten. Welche spielen für Sie eine herausragende Rolle?Miller: Ich gehöre ja zu den MEDI-Mitgliedern der ersten Stunde und denke oft an den Kodex, den wir für MEDI Stuttgart 1999 formuliert haben: eine verbindliche Kooperation, damals noch mit dem handschriftlichen MEDI-Begleitbrief. Das war ein Meilenstein. Viele MEDI-Projekte sind ja heute nichts anderes als die Ausgestaltung dieses Gedankens – seien es nun die Selektivverträge, neue Kooperationsmöglichkeiten für Mediziner, Vernetzungsprojekte oder „Arztpraxen 2020“. Hier kann und muss die Kammer weiter fördern und fordern und darf nicht zögern. Was in der Ärzteschaft seit Jahr und Tag im GKV- und GOÄ- Bereich gefordert wird, hat MEDI mutig mit den Selektivverträgen umgesetzt.MEDITIMES: Wie wollen Sie diese Projekte in Ihrem Kammeramt fördern?Miller: Auch in den Selektivverträgen geht nichts ohne Qualität. Und Qualität wird von der Kammer definiert. Die Zusammenarbeit zwischen dem MEDI-Institut IFFM und der Landesärztekammer bei der Anerkennung von Fortbildungen oder EFA-Curricula läuft bereits gut. Trotzdem gibt es immer wieder Reibungsverluste bei den ärztlichen Fortbildungen und den Qualifizierungskursen für die MFAs. Hier muss die Abstimmung zwischen den Kammervorgaben und den Bestimmungen im Selektivvertrag im Vorfeld besser laufen.Beim Thema Vernetzung gibt es Detailfragen wie den Aufenthaltsort des Arztes, der die Behandlung verantwortet, und die Datensicherheit. Auch das Honorar muss stimmen. Die Kammer muss sich hier politisch hinter die Kolleginnen und Kollegen stellen. Schließlich sind wir ja nicht nur eine Selbstverwaltung, sondern auch eine Interessenvertretung! MEDITIMES: MEDI Baden-Württemberg gilt bei Projekten wie den Selektivverträgen, Vernetzungspiloten oder dem MVZ-Konzept „Arztpraxen 2020“ als Vorreiter. Sind die Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg bereit für so viel Fortschritt?MEDITIMES: MEDI Baden-Württemberg gilt bei Projekten wie den Selektivverträgen, Vernetzungspiloten oder dem MVZ-Konzept „Arztpraxen 2020“ als Vorreiter. Sind die Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg bereit für so viel Fortschritt?Miller: Sie können es kaum erwarten! Die Selektivverträge sind, das ist ja wissenschaftlich belegt, besser für alle Beteiligten. Die Vernetzung ist überfällig. Seit 20 Jahren hat jeder einen PC in der Praxis, seit zehn Jahren haben Ärzte, die an Selektivverträgen teilnehmen, einen sicheren Konnektor. Das MVZ unter der Leitung niedergelassener Ärzte ist eine Chance für die Praxen und die wohnortnahe Versorgung der Patienten. Was 2004 als Anfang vom Ende der niedergelassenen Praxen ins Gesetz geschrieben wurde, könnte zur Rettung unserer Praxen werden. Auch die älteren Kolleginnen und Kollegen steigen hier mutig ein und schätzen, wie die jungen Mediziner, die Flexibilität. Allerdings müssen die Versorgungsaufträge bei den Kollegen bleiben – sonst wird die ambulante Versorgung ausgehöhlt.MEDITIMES: Viele Mediziner fühlen sich von ihren Selbstverwaltungen nicht genügend unterstützt – wie würden Sie die Landesärztekammer attraktiver für Ihre Kolleginnen und Kollegen machen?Miller: Das Angebot muss passen. Warteschleifen am Telefon, Suchfunktionen, die nichts ergeben, unnötig lange Verwaltungsverfahren – das muss anders werden. Manche Bereiche funktionieren aber auch heute schon gut.MEDITIMES: Welche?Miller: Zum Beispiel das Fortbildungsportal. Das sollte jeder Arzt nutzen. Dort können Kolleginnen und Kollegen auf verschiedene Dokumente zugreifen. Das müssen wir nur besser kommunizieren. Außerdem sind unsere Bezirksärztekammern spitze in der individuellen Begleitung der Kollegen. Das müssen wir ausbauen. Mein Motto lautet: So viel Bezirk wie möglich, so viel Land wie nötig. Bei gemeinsamen Bereichen wie EDV und Finanzen müssen die Bezirke mit dem Land an einem Strang ziehen.MEDITIMES: Die Selbstverwaltungen klagen außerdem darüber, daß ihre Mitglieder immer weniger Interesse daran haben, in den Gremien mitzuarbeiten. Wie würden Sie die Landesärztekammer für jüngere Kolleginnen und Kollegen interessanter machen?Miller: Wir müssen die Arbeit der Kammer bekannt machen. Ich bin überzeugt: Wenn die Kolleginnen und Kollegen erleben, was wir bewegen, bekommen sie Lust mitzumachen. Bei mir war es Ende der Neunzigerjahre die MEDI-Gründung, bei anderen sind es zum Beispiel die Selektivverträge. Ich kenne durchaus junge Ärztinnen und Ärzte, die sich gerne berufspolitisch einbringen würden.MEDITIMES: Herr Dr. Miller, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg.

Zur Person:Dr. Wolfgang Miller wurde 1962 im oberschwäbischen Ochsenhausen geboren. Er ist seit 1998 als Chirurg in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart niedergelassen, ist verheiratet und hat vier Kinder. In seiner Freizeit macht er gerne Musik, läuft und schwimmt. Seit seiner Schulzeit spielt er Orgel und hat über viele Jahre einen Kirchenchor geleitet. Schon als Heimsprecher im Studentenwohnheim hat sich Miller für seine Kommilitonen eingesetzt, später kämpfte er für die Mitarbeitervertretung am Stuttgarter Marienhospital im Sinne seiner Kollegen. Damals wurde Miller in den Vorstand der Kreisärzteschaft Stuttgart gewählt, bis heute unterstützt er als Vorstandsmitglied die Kreisärzteschaft Esslingen. Nach seiner Niederlassung gründete er gemeinsam mit anderen Mitstreitern die Notfallpraxis Filder und hat sie bis heute weiterentwickelt. Auch außerhalb der ärztlichen Berufspolitik ist Wolfgang Miller aktiv: Seit 1999 ist er im Gemeinderat und seit 2014 im Kreistag.

  

 

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