Schnell, flexibel und zukunftsfest

Freuen sich auf die Arbeit im neuen MVZ Baiersbronn: Hans-Jörg Schaible (links) mit Wolfgang Fink und Horst Richter (vorne). 
Nicht einmal ein Jahr ist seit den Planungen für das MEDI-MVZ in Baiersbronn bis zur Eröffnung am 3. April vergangen. Das Projekt ist nun sogar weit mehr als eine Hausarztpraxis: Dank der Integration einer Apotheke und einer kleinen Bankfiliale fungiert es als ein kleines Nahversorgungszentrum.In den kommenden Jahren werden sich voraussichtlich 500 Hausarztpraxen in Baden- Württemberg nicht nachbesetzen lassen. Davon geht die Kassenärztliche Vereinigung im Ländle aus. In kleinen Gemeinden ohne nennenswerte Infrastruktur ist es mittlerweile nahezu unmöglich geworden, einen Nachfolger für eine klassische hausärztliche Praxis zu finden.Und selbst wer seine Praxis erfolgreich in jüngere Hände übergibt, kann nicht sicher sein, dass er den weißen Kittel wirklich dauerhaft an den Nagel gehängt hat. So ist es zumindest Dr. Horst Richter aus Lützenhardt ergangen. Er hatte seine Hausarztpraxis 2014 an eine junge Kollegin abgegeben, die ihn zuvor neun Monate in seiner Praxis begleitet hatte.Sie hatte einen langfristigen Mietvertrag für die Praxisräume abgeschlossen, alles schien in bester Ordnung. Doch dann warf die Ärztin zum 1. November 2017 überraschend das Handtuch, schloss die Praxis und verschwand – zum Entsetzen des altgedienten Hausarztes, seines früheren Patientenstamms und der Gemeinde Lützenhardt.Kein Hausarzt in SichtRichter sorgte sich um die ärztliche Versorgung der Menschen vor Ort, die Gemeinde Lützenhardt fürchtete darüber hinaus auch um ihren Status als Luftkurort, der vom Erhalt der Hausarztpraxis abhängt. Rosemarie Richter, die Ehefrau des ehemaligen Hausarztes, erzählt: “Das Waldachtal ist eine große Gemeinde mit vielen kleineren Teilorten, einer davon ist Lützenhardt. Mit Ausnahme von Salzstetten gibt es in diesen Teilorten keinen Arzt und nicht einmal eine Busverbindung, dafür aber viele alte Leute.”Das Ehepaar telefonierte sich die Finger wund, warb um Unterstützung bei der KVBW, in der Politik und im Kollegenkreis. Doch es fand sich niemand, der in Lützenhardt eine Zweigpraxis eröffnen mochte. Horst Richter war kurz davor, seine ehemalige Praxis selbst wieder zu übernehmen, doch seine Frau war skeptisch: “Wenn er die Praxis selbst wieder übernimmt, müssen wir uns in ein paar Jahren erneut um die Nachfolge kümmern, dann geht das alles wieder von vorn los!”Neue Perspektive dank MEDIRosemarie Richter ermittelte auf eigene Faust und wurde Anfang dieses Jahres auf den Service der MEDIVERBUND AG aufmerksam. Sie nahm Kontakt mit Wolfgang Fink auf, der zum damaligen Zeitpunkt die Gründung der “Ärzte am Reichenbach – MEDIMVZ GmbH” in einem Teilort des 20 Kilometer entfernten Baiersbronn vorantrieb.Kurz darauf besichtigten Fink und der ärztliche Leiter des Baiersbronner MVZ, Hans-Jörg Schaible, die Hausarztpraxis in Lützenhardt. “Sie waren begeistert und wenige Tage nach meiner ersten E-Mail hatten wir die Zusammenarbeit schon per Handschlag besiegelt”, erzählt Richter. Die Hausarztpraxis wird seit April als Zweigpraxis des Baiersbronner MVZ geführt, ihr Mann arbeitet dort als angestellter Arzt und wird einmal wöchentlich von seinem Kollegen Schaible unterstützt, der auch hier die ärztliche Leitung übernimmt.Verwaltung in jüngerer Hand“Für mich ist das ein Glücksfall”, sagt Horst Richter, “ich muss mich nicht um die Verwaltung der Praxis kümmern, sondern kann mich ganz darauf konzentrieren, den Betrieb wieder ins Laufen zu bringen.” Berührungsängste mit dem deutlich jüngeren Hans-Jörg Schaible, der seit April sein Vorgesetzter ist, hat er nicht: “Es muss schließlich eine klare gemeinsame Linie zwischen den Praxen geben, dafür ist ein ärztlicher Leiter da. Doch ansonsten bin ich kein Angestellter, der auf die Uhr schaut und pünktlich Feierabend macht, ich führe die Praxis schon weiter wie meine eigene – nur dass sie jetzt halt jemand anderem gehört.”Vormittags vier Stunden Sprechstunde, dazu Sprechzeiten an drei Nachmittagen pro Woche und natürlich Hausbesuche – das ist weit mehr als ein kleiner Rentner-Minijob. Im Juni wird Hausarzt Richter 72 Jahre alt, seine Frau ist 70. “Wir fühlen uns aber wie 50”, erklärt Rosemarie Richter. Sie ist Feuer und Flamme für das neue Konzept: “In so einem MVZ können sich die Ärzte auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren, die Verwaltung erledigt das MVZ-Management. Ich finde das super, das ist die Zukunft.”»Unser Konzept geht auf«Auch der neue Chef freut sich über die Entwicklung: “Sie zeigt, dass unser Konzept aufgeht, wonach ältere Ärzte ihre Praxis an ein MVZ abgeben, aber erst einmal noch weiter als Angestellte dort arbeiten”, findet Schaible. Er persönlich findet es spannend, mit der Zweigpraxis in Lützenhardt den Raum und das Einzugsgebiet gegenüber seiner bisherigen Praxis zu erweitern. “Und Kollege Richter ist ein alter Hase, von dem ich sicher noch einiges lernen kann, selbst wenn ich nun offiziell sein Chef bin.”Von den ersten Gesprächen zur Planung bis zum Start ist nicht einmal ein Jahr vergangen. In dieser Zeit haben die Beteiligten eine Betreibergesellschaft gegründet, eine weitere Ärztin in Weiterbildung aufgetan, neue Räumlichkeiten gefunden und den Umbau der Immobilie vorangetrieben.Bei dem Gebäude handelt es sich um die ehemalige Filiale der örtlichen Volksbank, die dem Geldinstitut zu groß geworden war. Das Gebäude wurde komplett entkernt. MEDI-Projektleiter Fink erzählt: “Wir haben neue Wände gezogen, moderne Sanitärbereicheeingebaut und zusätzlich ein ausgewiesenes MFA-Zimmer für delegierbare Untersuchungenund Leistungen geschaffen.”Die neuen Räumlichkeiten passen zur UmgebungBei der Beschreibung der Innenausstattung gerät Fink ins Schwärmen: “In jedem Sprechzimmer, das die insgesamt sechs Ärztinnen und Ärzte im MVZ Baiersbronn nutzen, gibt es einen Schreibtisch aus heimischen Hölzern unterschiedlicher Obstbaumarten. Und im Wartezimmer richten wir eine tolle Kinderspielecke mit einem Klettergerüst aus Holz ein. Das alles passt auch optisch in den Schwarzwald.”Das MVZ kommt also nicht in modern-unterkühltem Design daher, sondern trägt die persönliche Handschrift der Menschen, die darin arbeiten sollen. Dass die sich auf die schönen Aspekte der Gründung wie die Auswahl der Möbel, Bodenfliesen und Wandfarben konzentrieren konnten, liegt vor allem am professionellen Management durch die MEDIVERBUND AG.Die wiederum hat ein gutes Händchen bei der Auswahl ihrer Partner bewiesen. Wolfgang Fink erzählt: “Die Volksbank als Vermieter des Gebäudes beauftragte als Generalunternehmer eine Firma, die sich auf den Umbau von Bankfilialen spezialisiert hat.Mit unseren Räumlichkeiten klappte das alles wie am Schnürchen.”Apotheke mit an BordEin paar Wochen später nimmt auch die Apotheke, die sich im Erdgeschoss eingemietet hat, ihren Betrieb auf. Ebenso die Volksbank, die einen Teil des Erdgeschosses für eine verkleinerte Filiale nutzt. “Sonst wäre die Bankfiliale im Ort sicherlich dauerhaft geschlossen worden”, meint Fink. “Wir haben hier also ein Konzept umgesetzt, dank dem alles erhalten bleibt, was in einem kleinen Teilort an Nahversorgung insbesondere für ältere Menschen notwendig ist.”Auch die Ärzte, die am MVZ Baiersbronn beteiligt sind, sind begeistert von dem Konzept – und von der angeschlossenen Zweigpraxis im Nachbarort. So erklärt Dr. Wolfgang von Meißner, einer der Gesellschafter: “Wenn das gut funktioniert, sollten wir überlegen, ob wir nicht noch weitere Praxen in der Region Freudenstadt in unser MVZ integrieren.”Ideen für weitere BeschäftigungsverhältnisseIn einer Einrichtung dieser Größenordnung könne man auch hervorragend Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung auf die Arbeit in der Niederlassung vorbereiten. Diese könnten erst einmal als angestellte MVZ-Ärzte arbeiten, bis der Senior endgültig aussteigt.”Das System ist flexibel genug, als dass man eine Zweigpraxis nach einer solchen ‚Probezeit’ auch wieder in eine eigenständige Einzel- oder Gemeinschaftspraxis ausgründen kann”, findet von Meißner. Allerdings erfordert die Arbeit eines MVZ mit mehreren Standorten zwingend ein schlüssiges EDV-Konzept.Auch hier hat sich ein branchenfremder Dienstleister bewährt. Die beauftragte Firma hatte mit dem Gesundheitswesen bis dato gar nichts zu tun, sondern war in erster Linie im Gastronomiebereich aktiv. Für MEDI-Mann Fink kein Problem: “Im Gegenteil, es zahlt sich aus, mit Leuten zu arbeiten, die über den Tellerrand hinausschauen!”Für ihn ist das MVZ Baiersbronn – nicht zuletzt wegen der schnellen Integration der ersten Zweigpraxis – ein Vorzeigemodell, mit dem er für die Sicherung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum durch MVZ wirbt. “Mit diesem Modell kann es gelingen, alte Familienpraxen binnen kurzer Zeit in MVZ umzuwandeln, in denen der alte Praxisinhaber und junge Nachwuchsärzte gemeinsam arbeiten.” Antje Thiel

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