Nach zähem Ringen hat sich die große Koalition doch noch gefunden. Der neue Gesundheitsminister, Jens Spahn, steht auch fest und die Ärzteschaft wartet gespannt darauf, was ihr der frische Wind aus der CDU bringen wird. Angelina Schütz sprach mit MEDI-Chef Dr. Werner Baumgärtner darüber, was eine weitere Legislatur von Schwarz-Rot für MEDI und die Niedergelassenen bedeutet.MEDITIMES: Herr Dr. Baumgärtner, wie zufrieden sind Sie mit dem Koalitionsvertrag?Baumgärtner: Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Er ist ein Mix aus Ankündigungen und unsinnigen Einmischungen in die Selbstverwaltungen der Ärzte und der Krankenkassen. Es fehlen die von uns so dringend erwarteten Anreize für Facharztverträge außerhalb des KV-Systems – stattdessen sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen Eigeneinrichtungen gründen und betreiben dürfen.MEDITIMES: Worum geht es dabei genau?Baumgärtner: Mit dem Geld der KV-Mitglieder, also unserer Kolleginnen und Kollegen, sollen beispielsweise medizinische Versorgungszentren, MVZs, gegründet werden. Sollten diese Einrichtungen rote Zahlen schreiben, bezahlen das die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Oder konkret gesprochen: Wenn die KV 100 dieser Versorgungszentren, nach Aufforderungen aus den Gemeinden oder dem Sozialministerium, betreiben müsste, wären darunter natürlich auch MVZs, die anderen niedergelassenen Praxen Konkurrenz machen würden. Unsere Kolleginnen und Kollegen würden also ihre eigene Konkurrenz finanzieren und müssten für deren Verluste aufkommen! Aber das wirklich Unglaubliche daran ist, dass Teile der KVen diesen Unsinn eingefordert haben! Wie sagte schon der Lyriker Brecht: Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.MEDITIMES: Wie geht MEDI damit um?Baumgärtner: Wir können zunächst nur abwarten, was letztlich wirklich eintritt. Das ganze Thema ist ja auch juristisch ausgesprochen fragwürdig.MEDITIMES: Sie erwähnten bereits, dass die Facharztverträge im Koalitionsvertrag nicht vorkommen – warum scheut sich die Politik, dieses Thema voranzutreiben, obwohl sie gleichzeitig mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen fordert?Baumgärtner: Offensichtlich ist es der SPD gelungen, mit den Themen Bürgerversicherung, einheitliche Gebührenordnung und Terminservicestellen das Zeitkontingent bei den Verhandlungen so auszuschöpfen, dass andere Bereiche unter den Tisch gefallen sind.MEDITIMES: Hätte der neue Gesundheitsminister Jens Spahn Ihrer Einschätzung nach ein offenes Ohr für Selektivverträge?Baumgärtner: Ich meine ja. Als konservativer CDU-Politiker kann er mit dem Thema Wettbewerb umgehen.MEDITIMES: Spahn ist für Sie ja kein Unbekannter – was darf die Ärzteschaft von ihm erwarten?Baumgärtner: Ich kenne Jens Spahn aus verschiedenen Veranstaltungen, Treffen und Gesprächen. Er kennt sich aus im Haifischbecken Gesundheitswesen und hat ein Grundverständnis für die Sorgen der Niedergelassenen. Ob er auch für das gegliederte System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung eintritt, kann ich nicht beantworten, weil er die einheitliche Gebührenordnung aktuell interessant findet. Ich selbst sehe sie als Weg in die Absenkung des Behandlungsniveaus für alle Versicherten in Deutschland an.MEDITIMES: Spahn gilt auch als Digitalisierungsverfechter und spricht sich für Big Data aus, also für die Zusammenführung großer Datenmengen zum Nutzen der Patienten. Erhoffen Sie sich von ihm mehr Unterstützung für die MEDI-Vernetzungsprojekte?Baumgärtner: Bisher haben wir außer schönen Worten keinerlei Unterstützung aus der Politik für unsere Projekte erhalten. Darüber hinaus hat uns unser Landesdatenschützer bei unserer Heilbronner Vernetzung monatelang hingehalten und dadurch wichtige Prozesse behindert. Es wäre wirklich schön, wenn sich das unter der neuen Bundesregierung ändern würde. Im Prinzip müssen wir uns aber selbst helfen – und das können wir glücklicherweise ziemlich gut.MEDITIMES: Zum Schluss noch die Frage, wie der aktuelle Stand der Dinge in Sachen neue GOÄ ist.Baumgärtner: Dank des Hartmannbunds-Vorsitzenden Dr. Klaus Reinhard, der bei diesem Thema das verantwortliche Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer ist, ist die GOÄ auf dem richtigen Weg. Alle Schritte wurden mit den großen Ärzteverbänden abgesprochen und der Zeitrahmen wird eingehalten. Inzwischen liegt eine Struktur mit rund 5.000 Positionen und 1.000 Zusatzziffern vor, die jedoch noch nicht mit Honorarbeträgen hinterlegt wurden. Ich bin der Meinung, dass die Bundesärztekammer diesen Entwurf Minister Spahn vorlegen sollte. Damit würde sich aus meiner Sicht die GOÄ für die im Koalitionsvertrag angekündigte Kommission erledigen. Das würde Zeit und Geld sparen.MEDITIMES: Herr Dr. Baumgärtner, vielen Dank für das Gespräch.
Falsche Richtung!
Jetzt wird in verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen diskutiert, ob in Gebieten der Unterversorgung KV-eigene Praxen eingerichtet werden sollen. Darüberhinaus ist bekannt geworden, dass auch die Dt. Apotheker- und Ärztebank darüber nachdenkt, Arztpraxen in einer Art Franchisemodell zu betreiben. Man kann sich ausrechnen, dass hier weitere Investoren folgen werden. Bei den KV-Praxen versucht die KV mit dem Geld der Kollegen ein System zu reparieren, das zum großen Teil von der Politik an die Wand gefahren wurde. Bei den “Investoren-Praxen” wird einer weiteren Ökonomisierung Tür und Tor geöffnet. Damit verkommt die ambulante Versorgung zu einem reinen gewinnorientierten Geschäftsmodell. Beide Modelle widersprechen der Vorstellung von einer Patientenversorgung, die letztendlich immer von Ärzten geleitet werden soll.
Stimme ich voll zu, deshalb entwickeln wir das Freiberufler MVZ. Also MVZ, die selbstständigen Ärztinnen und Ärzten gehören, egal ob sie darin mitarbeiten oder nicht.
Was die GOÄ angeht, so hat Herr Lauterbach bei der Veranstaltung “AOK im Dialog” vor einigen Tagen auf dem Podium geäußert, dass eine neue GOÄ unerwünscht sei, er will die einheitliche Gebührenordnung. Wohltuend war an der Stelle die klare Positionierung von Frau Karin Maag, MdB, der gesundheitspolitischen Sprecherin der CDU. Sie lehnt sowohl eine Bürgerversicherung, als auch eine einheitliche Gebührenordnung ab!
Neue Leistungen bedeuten mehr Geld – das stellt Jens Spahn bei der Eröffnung des Ärztetags in Erfurt klar. Zwar hat Hans-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenvberband umgehend widersprochen, beim Minister ist aber angekommen: Eine Weiterentwicklung der Versorgung gibt es nicht zum Nulltarif. Spahn hat klar gemacht, daß er als Teil der Bundesregierung auf die Terminvergabe und die Versorgung im ländlichen Raum besonderes Augenmerk richten wird. Das steht im Koalitionsvertrag. Das wird er anpacken. Spahn hat klare Ziele und bietet uns Dialog an. Denn dabei scheut er auch nicht die Auseinandersetzung mit den Ärzten. Als MEDI-Mitglied sehe ich das positiv. Wir sind mit unseren Netzprojekten, mit der Verbindlichkeit der Selektivverträge einen Schritt voraus. Ich freue mich auf die nächsten Jahre.
Dr. Wolfgang Miller, Chirurg, Leinfelden-Echterdingen
Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Garg will die Budgetierung beenden. Die FDP scheint die Ärzteschaft wieder zu entdecken. Und dies ist ein richtiges Signal! Statt Verlängerung der Sprechzeiten und Termineservicestellen würde dies die Motivation der Ärzteschaft fördern und die nötige Anerkennung der Leistungen der Niedergelassenen bedeuten. Dann wäre es auch nur noch ein kleiner Schritt endlich über 140.er/73c-Verträge die Versorgung der Patienten und Verzahnung der Ärzte zu optimieren. Bei im März 2018 vorhandenen 19,9 Mrd. Finanzreserven der Krankenkassen keine unbillige Forderung!